Die Europäische Zentralbank (EZB) kauft die Anleihen der Krisenstaaten. So behindert sie den Druck, rettende Reformen einzuleiten

Die Europäische Zentralbank (EZB) versucht seit über drei Jahren mit allen Mitteln, die Euro-Zone zusammenzuhalten und geht dabei unkonventionelle Wege, die die Bundesbank mit größter Sorge beobachtet. Besonders kontrovers ist das 2012 verkündete OMT-Programm. OMT steht für „Outright Monetary Transactions“, übersetzbar mit „vorbehaltlose Geldgeschäfte“. Es enthält ein Versprechen der EZB: Droht einem Euro-Staat die Insolvenz, kauft sie dessen Staatsanleihen.

Warum? Fast alle Staaten geben mehr aus, als sie einnehmen. In Höhe der Lücke verschulden sie sich: Sie begeben Staatsanleihen, die Kapitalanleger kaufen können. Der Staat muss jährlich Zinsen und am Ende der Laufzeit das Kapital zurückzahlen. Da er dafür kein Geld hat, begibt er neue Anleihen. Schulden werden mit Schulden beglichen. Jedes Jahr kommen neue, weil die Ausgaben die Einnahmen übersteigen.

So etwas kann nur eine Weile gut gehen. Irgendwann fragen die Anleger, ob der Staat seine Schulden noch begleichen kann. Für das steigende Risiko verlangen sie einen Risikoaufschlag auf den Zins. Der Staat muss ihn zahlen, sonst wird er seine Staatsanleihen nicht los. Das geschah ab 2010 in Südeuropa.

Beispiel Italien. Nach der Euro-Einführung hielten die Anleger den italienischen Staat für fast so kreditwürdig wie den deutschen. Noch Anfang 2010 musste Italien, verglichen mit Deutschland, nur einen minimalen Risikoaufschlag von 0,8 Prozent zahlen. In der Euro-Krise stieg er bis November 2011 auf 5,2 Prozent. Ministerpräsident Silvio Berlusconi musste zurücktreten. Sein Nachfolger Mario Monti packte Reformen an, der Zinsaufschlag sank bis März 2012 auf 3,2 Prozent. Dann versiegten die Reformen. Der Aufschlag stieg bis Juli wieder auf 4,8 Prozent.

Eigentlich ein verkraftbarer Wert. Aber die EZB befürchtete wohl, dass er hochschießen werde. Deshalb kam Anfang September das OMT-Programm. Es sagt den Anlegern: Kauft ruhig südeuropäische Staatsanleihen. Wenn es ernst wird, kauft die EZB sie euch ab. Allein durch dieses Versprechen sank der Zinsaufschlag auf derzeit 2,7 Prozent; kaufen musste die EZB bislang nichts. Was ist vom OMT-Programm zu halten?

Ein Anstieg des Risikoaufschlags lässt sich auf zwei Faktoren zurückführen, die meist gemeinsam auftreten: einen rationalen und einen emotional-spekulativen. Der rationale: Die Kapitalanleger erkennen nüchtern, dass das Insolvenzrisiko steigt und verlangen einen höheren Aufschlag. Diese Marktreaktion ist sinnvoll und nötig. Denn sie übt Reformdruck auf den Staat aus, seinen Haushalt zu sanieren.

Der emotional-spekulative Faktor: Am Kapitalmarkt agieren Menschen nicht immer rational. Angst und Herdenverhalten sind Realität: Ein Großanleger sieht, dass Italien Probleme hat, wägt ab und verkauft seine Anleihen. Das sehen andere und verkaufen auch. Je mehr verkaufen, desto größer ist die Verunsicherung beim Rest. Kaum jemand will noch kaufen; der Staat wird neue Anleihen nicht oder nur mit hohen Aufschlägen los. Es kann ein Teufelskreis mit immer höheren Aufschlägen entstehen, der den Staat in die Insolvenz treibt. Außerdem sind am Kapitalmarkt auch Spekulanten unterwegs. Eine ideale Politik müsste dafür sorgen, dass der rationale Faktor voll zum Tragen kommt und den Staat zu Reformen zwingt, der emotional-spekulative dagegen ausgeschaltet wird.

Doch beide Faktoren sind nicht isolierbar. Niemand weiß, wie hoch der rationale, risikoadäquate Zinsaufschlag sein müsste. 2,7 Prozent sind für Italien offenbar zu wenig: Die neue Regierung lehnt Reformen ab. Selbst wenn man es wüsste: Wie wollte die EZB genau diesen Aufschlag am Markt durchsetzen?

Das ist die Krux des OMT-Programms. Es gibt den Staaten die Versicherung, sie würden notfalls aufgefangen. Das nimmt ihnen den Reformdruck. Ohne Reformen aber sinkt die Kreditfähigkeit weiter. Irgendwann kommt es zum Schwur: Die Staaten müssen mit Milliarden gestützt werden. Das wird die Kräfte der EZB übersteigen. Sie hat schon angekündigt, dass dann auch die noch solventen Euro-Staaten ran müssen, sprich: die Steuerzahler Nordeuropas.

Die HSV-Kolumne „Matz ab“ erscheint während der Bundesliga-Sommerpause nicht wöchentlich an dieser Stelle. Im Internet finden Sie "Matz ab" weiterhin täglich unter www.abendblatt.de/matz-ab