Selten haben Flüchtlinge in Hamburg so eine Unterstützung erfahren - dabei spannen radikale Gruppen sie vor ihren Karren

Solidarität ist ein hohes Gut und das Engagement der vielen Freiwilligen auf St. Pauli aller Ehren wert. So ist die Unterstützung, die in Hamburg für die Libyen-Flüchtlinge angelaufen ist, zunächst mal ein gutes Zeichen - ein Symbol, dass Nächstenliebe auch in der Ellenbogengesellschaft, dass Hilfe für Fremde im vermeintlich ausländerfeindlichen Deutschland, ja dass Wärme im kalten Hamburg möglich ist.

Doch mit etwas weniger Gefühl und mehr Verstand sieht die Sache bald anders aus. Bei genauerem Hinsehen bekommt das Bild vom "einsamen Flüchtling in der kalten Fremde" Risse. Und es verstärkt sich der Eindruck, dass eine professionell organisierte Maschinerie die Not dieser Flüchtlinge benutzt, um die Asylpolitik zu verändern.

Auch wenn er nach einem spontanen Aufschrei der libyschen Flüchtlinge in Hamburg aussieht, fußt der öffentlichkeitswirksame Widerstand auf einem Berliner Fundament. Dort wurde bereits am 2. Mai zu einem Protestcamp der Flüchtlinge geladen. Am Oranienplatz in Kreuzberg schlugen sie am 11. und 12. Mai ihre Zelte auf.

In einem Internetvideo, das sich schnell verbreitet, nimmt ein Flüchtling dort Stellung - und schwingt, freundlich formuliert, relativ steile Thesen. "Wir sind nach Europa gekommen, um jeden wissen zu lassen, dass sie unser Land zerstört haben und es bis heute tun", sagt der Sprecher der Flüchtlinge. Dann folgt eine Sichtweise der Dinge, die an die irren Auftritte des Muammar al-Gaddafi mit seinem Regenschirm erinnert: Die ganze Welt habe gegen Libyen mobil gemacht, um sich am Reichtum des Landes zu bedienen. Die Europäer hätten sie mit Gewalt zur Flucht gezwungen, zuvor in Libyen seien die Menschen glücklich gewesen. Und so weiter. Wer will, kann den Afrikaner per Handy erreichen - auf den Webseiten ist seine Nummer zu finden.

Knapp zwei Wochen später erzählt derselbe Mann den Reportern einer Hamburger Zeitung, sie schliefen unter Brücken und in Hauseingängen, ihre Habseligkeiten passten in eine Plastiktüte, und sie hätten kein Geld in der Tasche, um sich etwas zu essen zu kaufen. Dabei sind die Libyer nicht auf sich allein gestellt. Schon zum Kirchentag am 3. Mai kümmerte sich die Flüchtlingshilfe-Organisation Karawane um Öffentlichkeit und lud zum Sandtorkai ein. Eine professionelle Webseite schildert den Kampf der Flüchtlinge - man würde gern wissen, ob die Gruppe auch mit Essen oder Habseligkeiten hilft. Vielleicht haben die Aktivisten von Karawane auch keine Zeit zum Helfen, weil sie ihrerseits noch obskure Erklärungen abgeben, Aktionen planen und Plakate malen. Bei der Besetzung des Rathauses am 22. Mai stand auf den Plakaten: "Wir haben nicht den Nato-Krieg in Libyen überlebt, um auf Hamburgs Straßen zu sterben." Das kann man Agitprop nennen, oder einfach: Geschmacklosigkeit.

Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, das Schicksal der Flüchtlinge wird instrumentalisiert: gegen die Nato, gegen die EU und ihre Asylpolitik. In der Erklärung "Lampedusa in Hamburg", die praktischerweise auf der Erklärung "Lampedusa in Berlin" fußt, heißt es: "Wir schließen uns dem Kampf, den Flüchtlinge in Deutschland seit fast 20 Jahren gegen das Deutsche Asylsystem führen, an. Der Kampf ist der gleiche."

Im jüngsten Demonstrationsaufruf hieß es: "Es ist die Schuld der Nato und der Europäischen Union, dass wir hier sind. Wir sind Menschen und haben Rechte. Wenn die Gesetze gegen uns sind, müssen sie abgeschafft oder geändert werden." So einfach ist das. In einer Petition - angeblich im Namen der Flüchtlinge - wird die "vollständige Anerkennung ihrer Rechte" gefordert: Wohnung, freier Zugang zum Arbeitsmarkt, freier Zugang zu Bildung, freier Zugang zu medizinischer und sozialer Versorgung, freie Wahl des Aufenthaltsortes bzw. Wohnortes innerhalb der EU. Und als letzter Satz steht in der Petition von "Lampedusa in Hamburg": "Weitere Ansprüche aufgrund der Kriegsfolgen können geltend gemacht werden."

Wer wie der Senat auf geltendes Recht verweist, das demokratisch gewählte Regierungen beschlossen haben, gilt schnell als engherzig. Der Druck der Straße und die Wucht der Bilder diskreditieren den Rechtsstaat, die Solidaritätsadressen werden länger, die Linkspartei hat sich den Protesten angeschlossen, auch SPD-Politiker üben Druck auf den Senat aus.

Um nicht missverstanden zu werden: Man muss über den Umgang mit Flüchtlingen und Ausgegrenzten diskutieren und ihre Lage verbessern. Schwer erträglich aber ist, eine Kampagne als gute Tat zu verkaufen - und Ehrenamtler wie Opfer vor seinen Karren zu spannen. Hilfe darf sich nicht nach der Lautstärke des Protestes richten.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt