Vor den Präsidentschaftswahlen am 14. Juni sichert sich Revolutionsführer Chamenei alle Macht für sich und den Klerus

Betrachte nicht müßig den Steinhaufen - sondern überlege, wen du damit bewerfen kannst, sagt ein altes persisches Sprichwort. Derzeit fliegen im Iran eine Menge Steine; kurz vor den Präsidentschaftswahlen am 14. Juni ist der seit Jahren schwelende Machtkampf voll entbrannt. 2009, nach den damaligen Präsidentschaftswahlen, verlief die Front noch eindeutig zwischen gemäßigten Reformern und den Hardlinern an der Macht. Die Anhänger des Oppositionskandidaten Mir Hossein Mussawi warfen dem Regime des angeblich im Amt bestätigten Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad Wahlfälschung vor - vermutlich zu Recht.

Den wütenden Protest auf den Straßen ließ Ahmadinedschad blutig niederschlagen; mindestens 72 Tote zählte die Opposition; etliche unter den mehr als 1000 Festgenommenen wurden zudem hingerichtet. Der Iran duckte sich unter den Schlägen - und das tut er bis heute. Doch inzwischen verlaufen die Fronten im Machtkampf quer durch das Regime. Die beiden Hauptprotagonisten sind Ahmadinedschad und Revolutionsführer Ali Chamenei. Das ist bemerkenswert; hatte Chamenei doch dem Präsidenten 2009 den Hals gerettet, indem er den ihm ergebenen, mächtigen Wächterrat letztinstanzlich entscheiden ließ, es gebe am Wahlergebnis nichts zu bemängeln.

Doch Ahmadinedschad, der den Iran mit unsäglichen Drohungen gegen Israel und der Forcierung des umstrittenen Atomprogramms international isoliert und verheerenden Sanktionen ausgeliefert hat, forderte Chamenei bei jeder Gelegenheit heraus. Es wurde deutlich, dass der Präsident, der nicht wieder antreten darf, seine Macht ausbauen und sogar über seine Amtszeit hinaus absichern will. Mit ungläubigem Staunen verfolgten die Iraner, wie sich der Präsident und die Chamenei-Getreuen im Parlament geifernde Auseinandersetzungen lieferten. Parlamentspräsident Ali Laridschani warf Ahmadinedschad "Mafia-Methoden" vor und warf ihn einfach aus dem Parlament.

Dieser feuerte Geheimdienstminister Haidar Moslehi, einen Chamenei-Parteigänger - den Chamenei prompt wieder einsetzte. Derartige Scharmützel wiederholten sich mehrfach.

Den wohl entscheidenden Schlag gegen den Präsidenten führte der Revolutionsführer, als er den Wächterrat - ein demokratisch nicht legitimiertes Gremium aus sechs Juristen und sechs Geistlichen - von fast 700 Kandidaten für die Präsidentenwahl alle bis auf acht Linientreue aussieben ließ. Darunter alle Frauen, vor allem aber Ahmadinedschads Freund Esfandiar Rahim Maschaie, den der Präsident als Nachfolger auserkoren hatte. Die Wahl wird damit zur Farce. Durch den Rost fiel auch der frühere Präsident Akbar Haschemi Rafsandschani, immerhin ein Mitgründer der Islamischen Republik.

Es wird immer deutlicher, dass Chamenei die alleinige, absolute Macht will. Maschaie hätte als verlängerter Arm Ahmadinedschads dem Revolutionsführer Probleme bereiten können. Und Rafsandschani, genannt der "Hai", wahrlich keine Lichtgestalt, hatte man zugetraut, den Iran politisch ein wenig zu öffnen, dessen Wirtschaft von der drückenden Last der internationalen Sanktionen paralysiert ist. Chamenei will jedoch den bedingungslosen politischen Primat der Religion. Ahmadinedschad ist, obgleich er seine Religiosität bei jeder Gelegenheit betont, vor allem glühender Nationalist. Der 78 Jahre alte mutmaßliche Milliardär und Revolutionsgewinnler Rafsandschani wiederum ist eher an Wirtschaftsfragen interessiert. Er hatte 2009 Sympathie für Oppositionskandidat Mussawi erkennen lassen - was ihn in den Augen des Beton-Klerus disqualifizierte.

Chamenei indes ist Nachfolger von Ayatollah Ruhollah Chomeni, des rachsüchtigen Staatsgründers. Er fürchtet jede Öffnung, die zu regimegefährdenden Protesten führen könnte. Argwöhnisch hat er verfolgt, wie Ahmadinedschad mit dem Wahlslogan "Lang lebe der Frühling" in gefährlicher Weise mit dem Zündfunken des Arabischen Frühlings spielte. Zudem haben Ahmadinedschad wie Maschaie mehrfach behauptet, in Kontakt mit dem Mahdi zu stehen, jenem geheimnisvollen, um 874 verschollenen zwölften Imam, der im Verborgenen weiterwirken soll und sogar offizielles Staatsoberhaupt Irans ist. Eine inakzeptable Herausforderung an den obersten Geistlichen. Derzeit geht die Entwicklung Irans in einen versteinerten Gottesstaat noch weiter.