Die Sprachdefizite gerade bei Migrantenkindern sind in Hamburg zu hoch - das hat auch viel mit den Einheimischen zu tun

Es ist einige Tage her, da erregte sich die Republik ein paar Stunden über eine Nachricht: Immer mehr Migrantenkinder benötigen Sprachförderung, weil ihre Deutschkenntnisse für die Schule nicht ausreichen. Die Ursache liege darin, dass in zu vielen Zuwandererfamilien zu Hause kaum oder gar kein Deutsch gesprochen werde. Die Hamburger haben die Fehlentwicklung sogar statistisch vermessen: 23 Prozent der Grundschüler unterhalten sich zu Hause nicht auf Deutsch - der Anteil stieg zuletzt sogar an. In Billbrook sprechen 80 Prozent der Schüler überwiegend eine andere Sprache, auf der Veddel sind es 70 Prozent.

Gelänge es, die Kinder zweisprachig zu erziehen, wäre das in Ordnung - und diese Kolumne zu Ende. Aber so ist es nicht. Leider wächst parallel die Zahl der Viereinhalbjährigen mit deutlichen Deutschdefiziten. Knapp 13 Prozent der Kinder haben beträchtlichen Förderbedarf, in einigen Stadtteilen fast 50 Prozent. Es gibt Elternhäuser, die das Erlernen der deutschen Sprache offenbar für überflüssig halten und damit ihren Kindern Bildung und Aufstieg erschweren. Das ist fatal.

Denn Sprache ist und bleibt der Generalschlüssel zu Bildung und sozialem Aufstieg, zu Integration und Teilhabe. Ob im Sportverein oder auf dem Hafengeburtstag, ob im Kaufhaus oder Stadion - es ist die Sprache, die Menschen verbindet. Verständnis erfordert, sich zu verstehen. Das frühe Erlernen des Deutschen ist für die Gesellschaft von elementarer Bedeutung. Man darf sich schon wundern, warum Zahlen wie die des Statistikamts Nord hierzulande kaum mehr schrecken und man rasch zur Tagesordnung übergeht.

Mitunter entsteht der Eindruck, als seien viele mit den sprachlichen Parallelgesellschaften einverstanden. Auch deutsche Konzerne werben in Türkisch, Institutionen übersetzen eifrig in Migrantensprachen, selbst der Alltag funktioniert ohne Grundkenntnisse des Deutschen. Natürlich muss eine weltoffene Stadt mehr als Platt-, Hochdeutsch und Missingsch sprechen, gerade für seine Gäste. Aber zugleich sollte sie beim Spracherwerb ihrer Bürger nicht maximal tolerant sein.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die ersten verbindlichen Sprachtests und Deutschkurse für Vorschulkinder ausgerechnet von der CDU Hessen kamen, die zuvor Ausländer als populistisches Wahlkampfthema missbraucht hatte. Möglicherweise sollten die Sprachtests konservative Wähler erfreuen, während SPD und Grüne dagegen wetterten - eine Aufwertung des Deutschen galt als verdächtig. Doch rasch zeigte sich, dass gerade die Migrantenkinder von Sprachkursen profitierten. Die latent ausgrenzende Politik entfaltete eine gegenteilige Wirkung. Auf der anderen Seite verlängern gut gemeinte "Anwälte der Ausländer" die Unmündigkeit ihrer Klientel, wenn sie Integration verhindern.

Einmal mehr zeigt sich: Ideologien helfen nicht weiter, um die Bildungschancen zu verbessern. Eher hilft die alte Formel vom Fordern und Fördern: Die Mehrheitsgesellschaft sollte Deutschkenntnisse grundsätzlich erwarten - und massiv in Sprachkurse für Kinder wie Eltern investieren. Migranten in der Öffentlichkeit zum Deutschsprechen zu ermuntern, ist keine Deutschtümelei, sondern das genaue Gegenteil - Integrationshilfe im Alltag.

In den vergangenen Jahren indes hat die deutsche Sprache offenbar an Gewicht verloren, auch bei den Einheimischen. In gewissen Kreisen gehört es zum guten Ton, als Kniefall vor der Globalisierung die Kinder englisch- und am besten gleich noch chinesischsprachig zu erziehen. Die Namen müssen international klingen, Englisch soll spätestens in der Mittelstufe Unterrichtssprache sein. Ob in Kultur, Kino oder der Werbung - selbst wenn nur für den deutschsprachigen Raum produziert wird, verabschiedet sich die Elite gern ins Englische. Das wirkt modern und weltmännisch, sendet unterschwellig aber die gefährliche Botschaft, die eigene Sprache sei entbehrlich. Wenn schon die Einheimischen Deutsch vernachlässigen, schwindet der Ehrgeiz, Deutsch zu lernen. Es ist an der Zeit, sich als Botschafter seiner Sprache zu verstehen.

Vor einigen Tagen trafen sich Vorbilder des multikulturellen Deutschlands unter dem Motto "Bridging the gap" (sic!) zur Debatte "Lieben wir das Deutsche?". Dabei waren sich der "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, die Unternehmer Ian Karan und Vural Öger, Ballettchef John Neumeier, Politikerin Aydan Özoguz und die Stiftungsgeschäftsführerin Sonja Lahnstein-Kandel in einem Punkt einig: "Wir wollten Deutsch sprechen und eine gute Bildung bekommen." Manchmal lassen sich große Integrationsdebatten auf einfache Sätze reduzieren.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt