Die Instrumentalisierung des Terrors von Boston verfehlt ihr Ziel

Auf der Titelseite des Hamburger Abendblatts vom Sonnabend/Sonntag waren sechs Hamburger Prominente abgelichtet, um zu demonstrieren, dass unter dem Motto "die Hansestadt zeigt Flagge" die Terrorbomben von Boston "uns nicht" einschüchtern und "wir ... keine Angst" haben. Wie gut, könnte man denken, wir Hamburger, wir Deutschen lassen uns nichts gefallen, stehen auf und leisten Widerstand gegen den Terror.

Aber ist das wirklich so? Ist das Widerstand? Haben wir keine Angst? Wozu dieser Trotz?

Abgesehen davon, dass zum Zeitpunkt der Berichterstattung ein Täter getötet und der zweite noch nicht gefasst war und überhaupt nicht klar sein konnte, vor welchem Hintergrund der Anschlag von Boston wirklich durchgeführt worden ist, drängt sich zusätzlich der Eindruck auf, als wenn hier ein schreckliches Ereignis benutzt und instrumentalisiert wird, um an einer Stelle vermeintliche Stärke zu zeigen, die in Wirklichkeit etwas anderes überdeckt - und die im Zweifelsfall eskaliert statt deeskaliert. Warum? Großveranstaltungen sind heute weltweit - und in der westlichen Welt vielleicht besonders - der destruktiven Anziehungskraft von Terroristen ausgesetzt. Hier ist immer wieder besondere Vorsicht und Solidarität gefragt. Natürlich geht es auch nicht darum, sich aus Angst voreilig zurückzuziehen, wohl aber darum, Menschenleben nicht über die Maßen zu gefährden. Für Hamburg gab es wohl auch keine Anzeichen dafür.

Wenn ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen die eigene Angst verleugnet, entsteht nicht selten ein trotziges "jetzt erst recht", ein Trotz, der weder der Bewältigung der eigenen Angst dient noch das angemessene Signal dem gegenüber ist, der die Bedrohung darstellt. Alle Mitarbeiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie beispielsweise, Kliniken, in denen es immer wieder und schneller als in anderen kulturellen Kontexten zu Gewalt kommt, sind spezialisiert auf Techniken und Haltungen der Deeskalation. Das bedeutet, aktiv Verhaltensweisen zu zeigen, die gefährliche Situationen entschärfen und Dialog-fähigkeit entstehen lassen.

Mit dieser Aktion wurden unnötig die Ereignisse von Boston instrumentalisiert, eine eigentlich angemessene solidarische Aktion für die Opfer und die Angehörigen wird verwandelt in eine Angstverleugnung und in das trotzige Gegenteil verdreht. Boston hat unsere Solidarität verdient und unsere Zeichen der Anteilnahme - mit einem "jetzt erst recht" entsteht ein Kriegsgeschrei, das im Zweifelsfall provoziert. Und dann wäre es nicht nur eine Verkehrung der Angst in ihr Gegenteil - ein gängiger menschlicher Abwehrmechanismus -, sondern dumm. Boston und die Welt hätten es verdient, dass "wir Hamburger" zeigen, wie man solidarisch ist, wie man seine Anteilnahme und Verunsicherung ausdrückt (vielleicht hätten 20.000 Trauerbänder genügt) und wie man friedlich und vorsichtig läuft, allenfalls mit einer Trauerflagge für Boston, aber nicht mit einer trotzigen Standarte.

Der Autor ist Ärztlicher Direktor der Klinik Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf