Selbst hochrangige israelische Geheimdienstmitarbeiter glauben, dass ihr Land in einer Sackgasse steckt

Der uralte Name des Staates Israel bedeutet "Gottes Streiter". Und gestritten mit seinen arabischen Nachbarn hat das Land seit seiner Gründung 1948. Die Rolle der Armee, der kampfstarken Zahal, ist oft gewürdigt worden, ebenso die des Auslandsgeheimdienstes Mossad, des legendenumwitterten "Auge Davids". Weniger ausgeleuchtet ist die Arbeit des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, auch Shabak genannt. Er ist neben dem Mossad und dem Militärgeheimdienst Aman die dritte Säule des israelischen Geheimdienstsystems.

Der Shin Bet wehrt Spionage- und Terrorangriffe ab, hat aber darüber hinaus eine Vielzahl von Aufgaben. Für ihn sollen 5000 Agenten und sehr viel mehr inoffizielle Mitarbeiter arbeiten. Die Direktoren sind in der Regel Karrierespione und/oder frühere Offiziere zum Teil von Eliteeinheiten wie der Sayeret Matkal.

Man sollte erwarten, dass diese hartgesottenen Männer, zu deren Aufgaben es auch gehört, Terroristen und Bombenbauer ermorden zu lassen, jene eindimensionale Denkart teilen, die die Regierung von Benjamin Netanjahu kennzeichnet. Umso sensationeller ist, was die Dokumentation "The Gatekeepers" zutage fördert, die der NDR am 6. März um 22.45 Uhr zeigt. Der preisgekrönte israelische Regisseur Dror Moreh hat es irgendwie geschafft, gleich sechs ehemalige Shin-Bet-Kommandeure vor die Kamera zu bekommen und sie schonungslos über ihre Arbeit reden zu lassen. Sein 90-minütiger, Oscar-nominierter Film, der bei uns den reißerischen Titel "Töte zuerst" erhielt, zeigt sechs völlig unterschiedliche Männer - im Typ vom scheinbar gemütlichen Opa bis zum granitgesichtigen Brecher -, die den Geheimdienst zwischen 1980 und 2011 leiteten. So unterschiedlich ihre Biografien und Mentalitäten auch sein mögen - am Ende kommen sie alle zu dem Ergebnis, dass Gewalt keine Lösung für die Probleme Israels darstellt. Das Fazit dieses Films lautet: "Genug. So kann es nicht weitergehen. 45 Jahre Besatzungspolitik haben uns dem Frieden nicht näher gebracht". Die sechs Porträtierten - Avraham Shalom (Shin-Bet-Chef von 1980-86), Yaakov Peri (1988-1994), Carmi Gillon (1994-96), Ami Ayalon (1996-2000), Avi Dichter (2000-2005) und Yuval Diskin (2005-2011) erzählen, jeder auf seine Art, so dicht und intensiv, dass Regisseur Moreh sie nach eigenem Bekunden "entgeistert anstarrte". Und sich bis heute fragt, wie weit er gegangen wäre, wenn er mit ähnlich furchtbaren Dilemmas konfrontiert gewesen wäre wie diese Männer.

Avraham Shalom berichtet seelenruhig, wie er 1984 die Tötung von zwei Terroristen angeordnet habe, die einen Bus mit 300 Menschen entführt hatten. Dazu muss man wissen, dass arabische Terroristen in jenen Jahren immer wieder Busse voller Zivilisten in die Luft sprengten. Aber es ist dann Avraham Shalom, der ebenso gelassen sagt: "Wir sind eine brutale Besatzungsmacht geworden. Wir wurden grausam." Diese Besatzung erinnere an die Deutschen als Besatzer im Zweiten Weltkrieg. Eine vernichtendere Kritik an der politischen Führung geht in Israel nicht. Shalom trat damals übrigens wegen der Tötung der beiden Terroristen zurück. Nicht jedoch die Politiker höchster Stelle, auf deren Anordnung er handelte. "Der Terrorismus war ein Glück für uns", sagt Shalom. "Wir hatten Arbeit."

Die sechs, die sich nicht einmal sonderlich grün sind, teilen die bestürzende Überzeugung, dass ihre Arbeit vergebens war, dass sie Israel einer politischen Lösung nicht näher gebracht haben. In einem Interview sagt Dror Moreh, welche Aussage ihn am meisten überrascht habe. Er zitiert Ami Ayalon, einen wegen Tapferkeit mit höchsten Orden dekorierten General, der nach dem Mord an Premierminister Itzchak Rabin - der dunkelsten Stunde des Shin Bet - als Außenseiter geholt wurde. Ayalon erzählt, als kleiner Junge sei er überzeugt gewesen, dass es in Jerusalem ein Haus gebe, darin einen Korridor und am Ende eine Tür - hinter der ein sehr kluger Mann für die Israelis nachdenke und für sie sorge. Damit war David Ben-Gurion gemeint, zwischen 1948 und 1963 zweimal Israels Premier.

Ayalon erzählt dann, wie er aufwuchs und schließlich tatsächlich in jenes Haus gelangte, den Korridor entlangging und die Tür öffnete. Doch dahinter habe er niemanden mehr gefunden, der für Israel nachdenke.