Von der Leidenschaft für die Elbphilharmonie ist wenig geblieben. Doch Häme bringt uns nicht weiter

Helmut Schmidt hat gesprochen. Und die Wucht seiner Worte wirkt weiter. Die Elbphilharmonie, diese Krone der HafenCity, findet der 94-Jährige "ziemlich neureich". In der Wochenzeitung "Die Zeit", der er als Herausgeber drolligerweise selbst ein Interview gegeben hat, sagte er: "Wir brauchen keine weiteren architektonischen Ausrufezeichen." Es gehe doch lediglich darum, "möglichst großen Eindruck zu schinden. Mich erinnert diese Einstellung an Wilhelm II." Aus diesem Grund habe er auch abgelehnt, dem Kuratorium der Elbphilharmonie beizutreten.

Das saß. Schmidt macht die Kritik am Glasbau in der Hansestadt endgültig mehrheitsfähig. Nur klingt es etwas wohlfeil, erst jetzt so aufzutreten, nach der Serie von Pleiten, Pech und Pannen. Die mahnenden und warnenden Stimmen hätte man gern einige Jahre früher vernommen: etwa im Juni 2003, als die Idee der Öffentlichkeit präsentiert wurde, oder ein halbes Jahr später, als die Grundsatzentscheidung fiel. Oder 2004, als die Ideengeber sich aus dem Projekt verabschiedeten. Vielleicht auch 2005, als die Machbarkeitsstudie veröffentlicht wurde, 2006, als der Bauantrag gestellt wurde. Oder spätestens 2007, als die Bürgerschaft über die Elbphilharmonie befand. Wir erinnern uns: Einstimmig votierten die Abgeordneten für den Bau. Selbst die Opposition war so begeistert, dass die wenigen Kritiker wie der SPD-Abgeordnete Mathias Petersen und Thomas Böwer der Abstimmung lieber fernblieben. Seine Partei sei wie besoffen gewesen, sagte Böwer später.

Nicht nur die SPD, die ganze Stadt war wie besoffen. Es waren die Jahre des Aufbruchs - Hamburg strebte in die Weltliga der Metropolen, Hamburg wollte Musikstadt werden, zum "Hot Spot" der Welttourismusströme. Wie das baskische Bilbao durch sein Guggenheim-Museum von Frank O. Gehry plötzlich hip geworden war, sollte die Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron die Hansestadt nach vorn katapultieren. Die bloße Skizze der Architekten elektrisierte. Zumal der leichte Schwung einer Glaswelle auf dem Papier leichter und schöner aussah als der Butzenscheiben-Brocken auf Backstein in Realität. Der Entwurf damals verzauberte die Stadt. Selten war man so einmütig, kritische Journalisten klatschten so stürmisch Beifall wie Künstler oder Honoratioren. Es war eine heiße Liebe. Es war eine Leidenschaft, die blind machte. Blind für die Größe der Aufgabe, blind für die Fehler in der Struktur, blind für Fallstricke eines Konzerthauses im Elbschlick. Schuldzuweisungen bringen nicht recht weiter. Zahlen schon: 77 Millionen Euro sollte den Steuerzahler einstmals die "Kathedrale der HafenCity" kosten; nach jüngsten Schätzungen bekommen allein die Schweizer Architekten nun 94 Millionen Euro. Die Elbphilharmonie sollte zunächst 2010, dann 2013, schließlich 2015 fertig sein. Nun ist 2017 geplant - wenn nichts dazwischenkommt. Zugleich schraubten die durchnummerierten Nachträge den vermeintlichen Festpreis von 241 auf 575 Millionen Euro. Nur der Himmel ist die Grenze.

Doch während vielen Bürgern angesichts dieser Zahlenspiele das Messer in der Tasche aufgeht - der Weiterbau ist, und da liegt das Problem, das kleinste Übel. Ein Rückbau wäre so peinlich wie teuer, selbst ein "Mahnmal des Größenwahns" gibt es nicht zum Nulltarif, weil auch die Sicherung der Baustelle etliches kosten dürfte. Hamburg sollte nicht den Fehler machen, eine erloschene Liebe nun im blanken Hass zu meucheln.

Die Entscheidung ist gefallen, wir haben es so gewollt - und ist die Elbphilharmonie fertig, dürfte vieles vom Zank und Hader dieser Tage vergessen sein. Bis dahin kann das Ziel nur lauten: Augen zu und durch. Nölen einstellen, meckern hilft nicht mehr, nur Druck - und zwar auf alle Beteiligten. Olaf Scholz, der das Desaster von Ole von Beust als Danaergeschenk bekommen hat, steht in der Demokratie ohnehin unter dem Druck der Wähler. Bei den Architekten Herzog & de Meuron wird der Bauherr Tacheles reden und die abgehobenen Schweizer erden müssen: Hamburgs Steuerzahlern sind Sonderwünsche im Luxusformat nicht länger zumutbar. Und Hochtief riskiert seinen Ruf, den Ruf eines seriösen Bauunternehmens, das Großprojekte zu stemmen vermag. Wenn es bis 2017 nicht klappt, wird die Elbphilharmonie endgültig der Ruch des Scheiterns anhaften.

Jede weitere Verzögerung hinterlässt nur Verlierer. Darin liegen Fluch und Hoffnung zugleich.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt