Im deutschen Fernsehen gibt es Dokumentationen zur NS-Zeit im Übermaß - aber sie stellen die falschen Fragen

Geschichte hat den Nachteil, dass sie sich ständig fortsetzt und Daten und Taten anhäuft: Zwangsläufig wird sie also immer umfangreicher. Zum Glück gibt es Fernseh-Dokumentationen, die helfen, wenigstens eine Art TV-Abitur nachzuholen. Ein Großteil der Dokus dreht sich allerdings wie in einer Endlosschleife um ein knappes Dutzend Themen: um die Pharaonen, um berühmte Attentate, berühmte Untergänge (Dinosaurier, Azteken), berühmte Geheimnisse (Vatikan, Tiefsee), um die Römer, die Germanen ...

Aber kein anderes Thema fesselt die Doku-Macher so wie der Diktator Adolf Hitler. Hitler und die Frauen. Der Westfeldzug. Hitlers Manager. Hitlers "Silberpfeile". Eva Braun. Hitlers Stellvertreter. Dass nur noch Hitlers Hunde, Hitlers Diätköchin und Hitlers Bade-Entchen fehlen, ist schon ein geläufiger Witz.

Wer um Himmels willen möchte so viel Hitler sehen? Und warum werden immer dieselben Geschichten mit denselben Bildern erzählt? "Hitler sells", heißt es häufig. Damit könnte man nun jeden Blödsinn rechtfertigen, der sich verkauft. Eine andere These hat die Historikerin und Eva-Braun-Biografin Heike Görtemaker: Im Thema Drittes Reich "bündeln sich Aufstieg und Untergang, Mord, Vernichtung und Katastrophe. Das ist nicht zu toppen." Sie vermutet eine "Faszination des Bösen".

Nur: In den meisten Fernseh-Dokus ist gar nichts Böses zu sehen. Wehrmachtsoffiziere stehen wichtig um einen Tisch herum. Massenparaden, jubelnde Volksgenossen mit Hitlergruß, Flugzeugstaffeln, U-Boote, "Meet and greet" auf dem Berghof mit der neckisch grinsenden Eva Braun, die dort oft selbst filmte.

Von Anfang an setzten die Nazis auf die Macht der Bilder, um den inszenierten Glanz des "Führerstaats" per Ufa-Wochenschau in die hintersten Gaue zu tragen. Propagandaminister Goebbels entschied, was gezeigt wurde und was nicht. Auch Eva Braun filmte nicht "privat" auf dem Obersalzberg, sondern verkaufte ihre Bilder gegen astronomische Honorare an den "Reichsbildberichterstatter" Heinrich Hoffmann.

Das wirklich "Böse" und Furchtbare filmten die Nazis selten oder nie: den Massenmord in den Gaskammern von Auschwitz, die Folterkeller der Gestapo, den Hunger im Warschauer Getto, die Ermordung behinderter Kinder. Oder die eigene hemmungslose Selbstbereicherung an jüdischen Immobilien, Vermögen, an Beutekunst. Zwischen den heiteren, dauernd gesendeten Bildern vom Obersalzberg und der Gewaltherrschaft klafft eine unbegreifliche Bilderlücke.

Dabei könnte man diese Lücke durchaus schließen und endlich die richtigen Fragen stellen. Etwa: Wie konnte es sein, dass jemand 1940 am Klavier Chopin spielte und zwei Jahre später in Ostpolen einem Menschen mit dem Spaten den Schädel einschlug?

Der deutsche Filmsammler Karl Höffkes hat in seinem Archiv seit 25 Jahren unzählige private Schmalfilme zusammengetragen. "Die Leute haben wirklich alles gefilmt", sagt er, "ihren Urlaub, aber auch Erschießungen, Zwangsarbeiterkolonnen, antijüdische Schilder. Das sind Momentaufnahmen, nicht für Propagandazwecke." Höffkes, der in den 1980er-Jahren für diverse rechtsextreme Verlage tätig war (wovon er sich heute als "Jugendverirrung" distanziert), produziert mit dem Material selbst Doku-DVDs wie "Hitlers Überfall auf Frankreich" und "Die geheimen Flugprojekte des Dritten Reichs".

Also: Wer kauft das? Wer sieht das? "Wir haben in Deutschland eine bedrückende psychologische Struktur des Verdrängens, Verschweigens und Vergessens, die Eltern redeten nicht", sagt Höffkes. "Heute erleben wir die Spätfolgen: Viele Menschen wollen das nicht Besprochene verstehen." Wie hat die eigene Familie gehandelt und warum? Wären wir selbst Täter geworden? Oder Widerständler?

Die ewig gleichen TV-Hitler-Dokus beantworten solche spannenden Fragen aber leider nicht. Die Schnipsel aus Goebbels' Fassaden-Filmen spiegeln nicht das Erleben, die Brüche und Widersprüche in vielen Familien. Stattdessen wird klischeehaft und oberflächlich betextetes Propagandamaterial gesendet. Dann doch lieber "Die stärksten Schaufelbagger der Welt" auf n-tv oder zum 127. Mal "Die Suche nach dem Gral".

Irene Jung schreibt an dieser Stelle jeden Mittwoch über Aufregendes und Abgründiges im Alltag