Umfragen sehen die Grünen schon als Volkspartei - zu Unrecht.

Im Kinderbuch "Jim Knopf" von Michael Ende gab es eine putzige Figur, den Scheinriesen Herrn Tur Tur. Er schien aus der Ferne ein Gigant zu sein, schrumpfte aber mit jedem Meter, den er sich näherte. Derzeit erinnern die Grünen an Herrn Tur Tur - fernab der Wahlen und jeder Übernahme von Regierungsverantwortung in Berlin erscheint die Partei, die noch vor Kurzem mit der Fünf-Prozent-Hürde kämpfte, als neue Volkspartei. Umfragen zufolge würde jeder vierte Deutsche Grün wählen; die SPD liegt mit 23 Prozent dahinter, die CDU mit 29 Prozent in Reichweite.

Keine Frage, der Zeitgeist tickt grün. In einem Land, das eine neue Lust am Widerstand entdeckt hat, sind die Grünen der Hauptprofiteur. Ob es gegen die Verlängerung der Atomlaufzeiten, gegen Stuttgart 21 oder gegen regionale Großprojekte wie Kohlekraftwerke geht - die Grünen reiten auf der Welle des Widerstands. Während SPD-Chef Sigmar Gabriel oftmals irrlichternd seine Position sucht, können die Grünen wie beim Wettrennen von Hase und Igel rufen: "Ick bün al dor."

Eine Zeit lang wird das gut gehen und die Partei vermutlich mit Rekordergebnissen in die Parlamente tragen. Doch der grüne Erfolg hat eine kurze Halbwertszeit: Er funktioniert nur in der Opposition und verflüchtigt sich an der Macht - ein Phänomen, das Guido Westerwelle und die FDP derzeit hautnah zu spüren bekommen. Auch die Grünen erfahren das am eigenen Leibe: In der Hansestadt liegt die GAL in ihrer einstigen Hochburg laut Umfragen bei zehn Prozent, angesichts des bundesweiten Höhenflugs ein Tieffliegerniveau. Dabei agiert die GAL an der Elbe kaum anders als die Bundespartei - der Unterschied ist nur: Hier regiert sie. In Hamburg spürt die Partei längst die Mühen des Regierens angesichts eines unpopulären Sparkurses in der Kultur oder bei den Kita-Gebühren. Selbst die Umsetzung grüner Programmatik goutieren die Wähler im Praxistest nicht mehr: So haben Demoskopen zufolge rund 40 Prozent der GAL-Wähler gegen die Schulreform gestimmt. In der Opposition lebte es sich für die GAL leichter.

Spätestens wenn die Grünen überall im Land die Happenings des Verweigerns gegen den Alltag des Gestaltens tauschen müssen, droht der Liebesentzug durch den Wähler. Die Stärke von heute kann so schnell zur Schwäche von morgen werden. Die Grünen sind gut beraten, sich an Herrn Tur Tur zu erinnern - und das Schrumpfen nicht zu fürchten.