Die USA ziehen aus dem Irak ab, das Land bleibt instabil.

In der fruchtbaren Region zwischen den mächtigen Strömen Euphrat und Tigris entstanden vor Tausenden Jahren die Schrift und die urbane Zivilisation. Hier entwickelte sich im Mittelalter mit Bagdad eine der fortschrittlichsten Metropolen der Welt; die Förderung von Kunst und Wissenschaft bescherte dem Islam seine Blütezeit.

Nun muss Mesopotamien - in Form des Staates Irak - wieder mühsam lernen, zivilisatorisch auf festen Beinen zu stehen. Der Abzug der letzten amerikanischen Kampftruppen wird in Washington gern als Erfolgsgeschichte verkauft.

Gewiss: Mit Saddam Hussein fegten die US-Invasionstruppen 2003 einen der grausamsten Tyrannen der Neuzeit vom Thron; das war verdienstvoll. Hunderttausende Iraker, darunter Kurden, Schiiten, tatsächliche oder vermeintliche Regimekritiker, waren Saddam, dieser selbst ernannten Reinkarnation des babylonischen Königs Nebukadnezar II., zum Opfer gefallen. Doch der auf Lügen und Manipulationen basierende dritte Golfkrieg - der Irak besaß keine Massenvernichtungswaffen und schon gar nicht paktierte seine Regierung mit al-Qaida - hinterließ ein instabiles Gebilde, das Separatisten und Terroristen aller Couleur zerfraßen wie Hyänen einen zusammengebrochenen Löwen. Ernsthafte Schätzungen sprechen von mehr als 100 000 zivilen Toten.

Es war der Kardinalfehler des amerikanischen Prokonsuls Paul Bremer gewesen, mit der Auflösung von Armee und Baath-Partei ausgerechnet die Säulen der irakischen Stabilität niederzureißen. In das Machtvakuum stieß neben den Aufständischen vor allem der Iran und veränderte damit dramatisch das Kräftegleichgewicht im Mittleren Osten. Golfkrieg und US-Besatzung hinterlassen ein schwaches und zutiefst zerrissenes Land. Die Behauptung des Sicherheitsberaters von US-Vizepräsident Joe Biden, Antony Blinken, man könne wohl getrost abziehen, da der Terror abgeebbt sei und irakische Armee wie Politik inzwischen kompetente Arbeit leisteten, wird durch die jüngste Serie an Terrorakten und die politische Lähmung in Bagdad ad absurdum geführt. Der Abzug ist keineswegs ein Triumph nach getaner Arbeit, sondern eher eine sicherheitspolitische Notoperation: Die Blutmühle Afghanistan erfordert künftig die ganze militärische Aufmerksamkeit der geschwächten und überdehnten Supermacht USA. Fast ein Jahrzehnt Krieg am Hindukusch und in Mesopotamien sowie eine verheerende Wirtschafts- und Finanzkrise haben das strategische Konzept der USA aus Bush-Tagen, zwei Großkriege zur gleichen Zeit führen zu können, hinfällig werden lassen.