Christian Wulff ist Präsident, und alle Parteien sind beschädigt.

Gustav Heinemann hat es erlebt, und Roman Herzog musste auch da durch. Beide wurden erst im dritten Wahlgang zum Bundespräsidenten gewählt, beide mussten sich unmittelbar danach unfreundliche Kommentare anhören und durchlesen - und beide wurden gute Präsidenten.

Christian Wulff hat nicht die schlechtesten Aussichten, diesem Beispiel zu folgen. Nach den endlosen, bisweilen unfairen Attacken der vergangenen Wochen, in denen er ausgerechnet von jenen, die den Freiheitsmenschen Joachim Gauck für parteipolitische Ziele instrumentalisierten, als tumber schwarz-gelber Politikroboter abgestempelt wurde, sind die Erwartungen an seine Präsidentschaft niedrig. Seine Ausgangssituation wird von vielen Fragen begleitet: Was soll dieser Mann ohne Eigenschaften schon bewirken? Beherrscht er überhaupt das einzige Machtmittel, das einem Präsidenten zur Verfügung steht - die große Rede? Und welcher Ruck könnte von ihm ausgehen? Wer so startet, hat es gut. Gehobenes Mittelmaß reicht, um zu überraschen. Der erfahrene Ministerpräsident aus Niedersachsen hat mehr im Repertoire als das. Aber anders als in den Heinemann- und Herzog-Jahren werden auch andere Gewissheiten den gestrigen Tag überdauern. Genau betrachtet hinterlässt er außer Wulff nur Verlierer.

Deutschlands schlechteste Regierung seit vielen Jahren hat einen weiteren schweren Dämpfer bekommen. Ein Misstrauensvotum ist in der Verfassung für die Bundespräsidentenwahl zwar nicht vorgesehen, aber stattgefunden hat es trotzdem. Selten haben die Wahlmänner und -frauen in der Bundesversammlung der Koalition so deutlich zum Ausdruck gebracht, was sie von Politik und Stil ihrer Regierung halten. Und noch während des Wahlvorgangs haben sich Merkel und Westerwelle in weiteren Ungeschicklichkeiten übertroffen. Westerwelle erklärte gegen alle Fakten: "Wir stehen geschlossen hinter Christian Wulff" und versuchte damit deutlich zu machen, die Illoyalität komme aus Unionsreihen. Angela Merkel wiederum rief ihre Fraktion in offenbar vollkommen missglückter Tonlage zur Ordnung und wurde offen ausgelacht. Gegenseitige Schuldzuweisungen, mangelnde Autorität, offene Auflehnung - in einem Unternehmen würde man von zerrüttetem Vertrauensverhältnis sprechen und eine Trennung herbeiführen.

Aber auch die große rot-grüne Gauck-Koalition trägt Blessuren davon. Das Kalkül des SPD-Chefs, die Bundesversammlung als Auffahrtsrampe für einen Machtwechsel im Land zu nutzen, ist nicht aufgegangen. Dass Sigmar Gabriel von Anfang an darauf setzen musste, nur im entscheidenden dritten Wahlgang und nur mit den Stimmen der Linkspartei - also in einem rot-rot-grünen Bündnis auf Bundesebene - Joachim Gauck zum Präsidenten machen zu können, zeigt, in welche Richtung die neuen Mächtigen in der Sozialdemokratie denken. Es belegt aber auch, wie tief die Gräben zwischen linken Sozialdemokraten und den Ewiggestrigen in der Linkspartei noch immer sind.

Die schwarz-gelbe Regierung geht mit einer allerletzten Bewährungschance aus der Bundesversammlung hervor. Und Rot-Rot-Grün ist erst mal vom Tisch. So gesehen war es ein wichtiger Tag für die Zukunft der Bundesrepublik.