Was tun!? Die Sonderausgabe des Hamburger Abendblatts vom vergangenen Wochenende zur Flüchtlingskrise hat viele Leserinnen und Leser bewegt. Vor allem auf den Leitartikel von Matthias Iken gab es zahlreiche Reaktionen. Hier eine Auswahl der Leserbriefe.

Blick auf historische Tage

Seit vielen Jahren bin ich nun Abonnent des Abendblatts und habe mit dem 11. September 2001 angefangen, an weltbewegenden Tagen Ausgaben zurückzulegen. Auch die Ausgabe vom 5./6. September werde ich mir zurücklegen, um dann in einigen Jahren zu sehen, mit welchen Gefühlen ich auf diese historischen Tage zurückblicke. Der Leitartikel von Herrn Iken spricht mir dabei aus vollem Herzen. Als traditionell eher links wählender Bürger glaube ich mich sehr, sehr weit weg von irgendwelchem dumpfen rechten Gedankengut. Es überrascht mich aber trotzdem, mit welcher Naivität in den Medien, speziell im Fernsehen, aber auch in der Politik, mit dem Thema Flüchtlinge umgegangen wird. Ich hoffe sehr, dass bald eine sachliche gesellschaftliche Diskussion beginnt, wie wir Deutsche uns in dieser Hinsicht unser Land in Zukunft vorstellen. Artikel wie der von Herrn Iken können einen wertvollen Beitrag leisten, die Diskussionen in sachliche Bahnen zu lenken, frei von Links/Rechts-, Gutmensch/Nazi- oder Schwarz/Weiß-Denken.

Matthias Dubiel

Pass zur Einreise ausstellen

Es ist gut, dass das Abendblatt dieses Thema zum Schwerpunkt macht. Gesucht wird eine politische Lösung. Warum wird das Instrument „Nansen- Pass“ (das erste anerkannte Reisedokument für staatenlose Flüchtlinge und Emigranten, 1922 vom Hochkommissar des Völkerbunds für Flüchtlingsfragen, Fridtjof Nansen, entworfen – Anm. d. Red.) nicht reaktiviert? Es war in den 20er- und 30er-Jahren für Flüchtlinge sehr hilfreich. Der Pass gäbe den Menschen Schutz und ermöglichte die Einreise ohne Schlepper, wenn er vor Ort – zum Beispiel in Syrien – ausgestellt würde. Wir müssen den Menschen helfen, nicht erst wenn sie in Deutschland sind. Sonst überleben viele den Weg zu uns nicht.

Wolfgang Peiner

Irrationaler Überschwang

Ihr Artikel ist ein Lichtblick und ein Wegweiser in einer Zeit des irrationalen Überschwangs in Deutschland in Sachen Flüchtlinge. Ohne klare Strukturen der Hilfe, insbesondere eines verbindlichen rechtlichen sowie finanziellen/wirtschaftlichen Rahmens, kann es nur zum Desaster kommen: Enttäuschung und Vorwürfe von Betrug und Verrat aufseiten der Flüchtlinge und Ablehnung bis Feindlichkeit wegen Undankbarkeit aufseiten der deutschen Bevölkerung. Hoffentlich bringt Ihr Artikel viele in Politik und Medien zum Nachdenken.

Bernd Tiedemann

Alltag birgt Enttäuschungen

Ich finde es positiv, dass die Themen (noch) differenziert betrachtet werden (können). Großartig ist die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung, die Hilfe tut not, denn die Menschen sind in Not. Es ist doch blauäugig zu glauben, dass sich jetzt alle integrieren können. Nach dem Applaus, dem Spalierbilden und den Willkommensbekundungen wird der Alltag außerhalb der Erstunterkünfte kommen – und damit nach der anfänglichen Begeisterung der übliche Alltag auch mit Enttäuschungen. Wie werden wir damit umgehen, wenn sich dann die falschen Leute um die Enttäuschten „kümmern“?

Thomas Runde

Falsche Signale

Es ist immer richtig, menschlich und christlich, hilfsbedürftigen Menschen zu helfen. Über das Wie, Wo und Wem kann man trefflich streiten. Aber da gehen die Probleme schon los. Als Erstes ist die demokratisch wichtige Akzeptanz Andersdenkender auf der Strecke geblieben. Wie kann es sein, dass die Menschen, welche Vielfalt und Willkommenskultur feiern, gleichzeitig Menschen, die Bedenken und Skepsis anmelden, gleich als Nazis oder fremdenfeindlich beschimpfen? Wobei viele Medien dabei mitmischen und mehr Meinungsmache als Aufklärung und Information betreiben. Wir halten uns für sehr tolerant und weltoffen. In unserer Familie verbinden wir südamerikanische und deutsche Kultur. Unsere Kinder wachsen zweisprachig auf. In meiner Firma beschäftige ich mehr Ausländer oder „Neudeutsche“, die top integriert sind (und auch bezahlt werden), als „Altdeutsche“. Darf man das politisch korrekt so sagen? Trotzdem finden wir den unkontrollierten Zuzug so vieler Menschen, über die wir nichts wissen und die niemand nach ihren Absichten und ihrer Integrationsbereitschaft gefragt hat, nicht richtig. Wir denken auch, dass die Art des Willkommens falsche Signale in die Herkunftsländer sendet. Es ist nicht dasselbe, Menschen Essen, Decken und menschliche Wärme zu geben oder sie zu beklatschen und Luftballons zu verschenken mit der Aufschrift „Hier werden Träume wahr.“ Wie viele Menschen wollen wir denn aufnehmen? Gibt es Überlegungen, wie viele Neubürger unsere Gesellschaft verkraftet?

Udo Kellermann

Nichts ist selbstverständlich

Endlich traut sich ein Journalist mit klugem Weitblick und kritischem Denken, sowohl die Chancen als auch die Risiken der Flüchtlingswelle zu thematisieren. Solange jeder Bürger, der mit unverklärtem Blick die Seiten der komplexen Situation betrachtet und zwischen aller Hilfsbereitschaft und Willkommenseuphorie auch auf die potenziellen Gefahren hinweist, sofort in die rechte Ecke gedrängt wird, wird rechten Gesinnungen weiter Tür und Tor geöffnet, und die Kluft zwischen hilfsbereiten Menschen und Fremdenhass wird immer größer. Ihr Beispiel aus Schweden ist mehr als anschaulich und ebenso die wichtigen Hinweise zu falsch verstandener Toleranz gegenüber Flüchtlingen aus anderen Kulturkreisen, in denen Frauenfeindlichkeit und Homophobie vorherrschen. Im Kampf um Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, Religions- und Meinungsfreiheit, Demokratie in unserem Land mussten viele Menschen ihr Leben lassen, und wir sollten diese Werte nie als selbstverständlich betrachten. Ich wünschte mir, es gäbe viel mehr Journalisten Ihres Schlages, die mit Scharfsinn und guter Schreibe gesegnet sind und dazu den Mut aufbringen, auch unangenehme Wahrheiten zu thematisieren.

Dr. Brigitte Becker

Nachhaltig handeln

Vielen Dank an den Autor für diese überfällige Reflexion der vielschichtigen und schwierigen Flüchtlingspro­blematik. Auch Dank an die Redaktion, dass man sich hier traut, die aktuell ungebremste Meinungshoheit der „Gutmenschen“ und „Sozialromantiker“ zu hinterfragen. Wie wahrscheinlich viele andere Bürger auch finde ich nicht nur die Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte unerträglich, sondern auch das „Hell/Dunkel-Deutschland“-Denken von Verantwortlichen und Medien, die offenbar panische Angst haben, den Pfad der Political Correctness zu verlassen. Den Zustrom von Flüchtlingen und deren Integration wird man nicht auf Straßenfesten und in Talkshows lösen, sondern nur durch kluge, professionelle politische Entscheidungen und nachhaltige Maßnahmen im Alltag.

Peter Nielsen

Furcht vor Problemvierteln

Der Leitartikel drückt etwas aus, was mir schon lange auf den Zeiger geht: hier die Guten, welche die Flüchtlinge willkommen heißen, und dort die Bösen, welche den ungebremsten Zustrom eher kritisch sehen und darum mindestens als fremdenfeindlich bezeichnet werden. Ich habe in den letzten Wochen mit sehr vielen Menschen über dieses Thema gesprochen. Die überwiegende Mehrheit macht sich schlicht und ergreifend Sorgen, dass es zu viele sind, die da gerade ungebremst gen Germany/Europa flüchten. Wo es in fünf bis zehn Jahren hingehen wird, können sie heute schon sehr gut in den Problemvierteln von Duisburg, Ludwigshafen, Mannheim, Berlin und vielen anderen Städten bewundern.

Hans Peter Ritz

Oft nur Lippenbekenntnisse

Über Ihren Artikel habe ich mich gefreut. Ein Satz ist mir aufgefallen: „... dass die Begeisterung für die Flüchtlinge in Wilhelmsburg oder Jenfeld kleiner ausfällt als in Eppendorf oder Othmarschen“ – dazu fällt mir ein, dass im wohlhabenden Stadtteil Harvestehude eine Baugenehmigung für die Umnutzung des Kreiswehrersatzamts zur Flüchtlingsunterkunft angefochten wurde. Dann höre ich oft, dass genau diese Eltern ihre Kinder nur in ausgewählte Schulen schicken, eine Stadtteilschule in Eidelstedt zum Beispiel käme nicht infrage. Man sieht, seitens der toleranten Deutschen kommen oft nur Lippenbekenntnisse, in der Realität möchte man doch unter sich sein. Ich kann nur hoffen, dass unsere Politiker und die Bevölkerung die Entwicklung realistisch sehen und dass es gelingt, die zu uns kommenden Menschen tatkräftig zu unterstützen und zu integrieren.

Heike Friedrich

Große Risiken ansprechen

Ihr Leitartikel war für mich fast erlösend, endlich werden die großen Risiken dieses unabsehbaren Menschenzustroms genannt. Deutschland kann nur helfen, solange es wirtschaftlich stark ist. Es ist sicher müßig, darüber zu streiten, ob Kirchenleute mit eigenen Asylzonen oder Bürger, die am Bahnhof Flüchtlinge mit sportlichem Beifall empfangen, den Fluchtgedanken fördern, dafür gibt es zu viele Gründe zum Fliehen. Aber dass Politiker vorausschauend so wenig die großen Risiken bis heute ansprechen, flößt Furcht ein. So viele Wohnungen, wie jetzt erforderlich wären, sind kaum zu beschaffen. Die zurzeit fehlenden Arbeitskräfte mit Flüchtlingen besetzen zu wollen, ist unredlich, denn die Tiefen der Wirtschaft kommen spätestens alle zehn Jahre, wie sollen dann die zusätzlichen Arbeitslosen bezahlt werden? Solange Europa nicht begreift, dass es nur ein Teil der Welt ist, sich aber an den Pro­blemen der Restwelt beteiligen muss, und sei es militärisch, sind wir weit entfernt von Lösungen.

Siegfried Meyn

Starre Bürokratie lockern

Die erschreckenden Bilder von Kindern, die tot an den Strand gespült werden, sollten nicht nur erschrecken, sie müssen unsere Politiker wachrütteln, um die starre Bürokratie in Notzeiten zu überwinden: Flüchtlinge aus anerkannten Kriegsregionen, die Verwandte im Ausland haben (wie im Fall des ertrunkenen Jungen mit Verwandten in Kanada) müssen unbürokratisch und schnell ein (begrenztes) Visum erhalten, wenn die Verwandten die notwendige Verpflichtungserklärung abgeben. Dann muss nicht der oft tödliche Weg über Schlepperorganisationen gewählt werden. Ein Asylantrag könnte dann während der begrenzten Visumlaufzeit gestellt werden.

Hans Negle

Aufgabe für die ganze Welt

Man kann nur wünschen, dass unsere Gesellschaft und auch Europa in der Lage sein werden, diese riesigen Aufgaben und Herausforderungen zu bewältigen. Ich halte zwei Punkte für vordringlich: Erstens muss die Weltgemeinschaft eingreifen und den Krieg in Syrien beenden. Wie das geschehen kann, kann ich nicht sagen, aber die Weltgemeinschaft muss sich damit befassen. Und zweitens müssen sich zumindest auch Nordamerika und Kanada für die Flüchtlingsströme öffnen. Es handelt sich hier nicht allein um ein europäisches Problem, sondern es geht die ganze Welt an. Im Hinblick darauf, dass in kommenden Jahren mit weiteren Millionen an Flüchtlingen zu rechnen ist, kann Europa allein diese menschliche Tragödie nicht meistern.

Ekkehard Below

Werte auch durchsetzen

Sie schreiben mir aus der Seele. Seit Wochen vermisse ich den Diskurs in den Medien. Es wird immer nur Friede, Freude, Eierkuchen erzählt, und die Fragen und Ängste in der Bevölkerung werden einfach nicht wahrgenommen. Man muss sich aufkommenden Problemen rechtzeitig stellen. Den Ankommenden, besonders denen aus stark patriarchalischen Ländern, muss als Erstes klargemacht werden, dass die Frauen in Deutschland gleichberechtigt sind. Ich habe es kürzlich selber erlebt, dass ein 18-jähriges Mädchen nicht zum Sportkurs durfte, weil es sich für ein Mädchen nicht schicke. Nur der Bruder durfte. Da muss von den Behörden mehr Druck ausgeübt werden. Nur der darf eine Anerkennung als Flüchtling erhalten, wer sich den Gesetzen und Werten hierzulande unterstellt. Das ist ganz wichtig!

Maja S.

Lösungen mit Know-how

Den Artikel von Matthias Iken sollte man in ganz Deutschland verteilen. Er weiß, dass man für eine sachgerechte Beurteilung alle Umstände des Flüchtlingsdramas kennen und das Know-how haben muss, um die Probleme verträglichen Lösungen zuzuführen. Das kann Deutschland nicht allein. Dafür sollten sich alle europäischen Staaten auf übereinstimmendes Handeln in der Flüchtlingsfrage einigen. Keine Frage, hier und heute gilt es in erster Linie, den ankommenden Flüchtlingen angemessen zu helfen. Aber ebenso wichtig ist es, den Blick in die Zukunft zu richten. Welche Folgen hat das, was zur Zeit geschieht? Es werden Folgen sein, die Deutschland weithin verändern werden.

Egon Gerhard