Hamburg. Die preisgekrönte Dokumentation „Little Richard: I Am Everything“ erzählt die bewegende Geschichte des Musikers Little Richard und seines Ringens um Anerkennung als schwarzer und queerer Musiker.

Mit turboschnellen Fingern drischt er auf die Tasten ein. Im Stehen. Dazu lachen die Augen und ein breites Grinsen zieht sich über sein Gesicht. Little Richard ist ein Phänomen selbst für alle jene, die seine Musik nie kennengelernt haben. „Ich lasse alles raus. Die Liebe, die Sanftmut, die Güte. Man muss alles zeigen, was Gott einem gegeben hat“, sagt er später einmal in einer Talkshow.

Er habe sich ausgezogen und mit seinem Kostüm gewedelt, erzählt ein lachender Mick Jagger in die Kamera. Ein Komet sei er gewesen, sagt der Sänger Tom Jones. Richard Penniman alias Little Richard war eine schillernde, durchaus widersprüchliche Persönlichkeit – und manchem war das zu viel.

Preisgekrönte Dokumentation

Die US-Filmemacherin Lisa Cortes („All In: The Fight For Democracy“) gibt ihrer mehrfach preisgekrönten, am Freitag um 21.45 Uhr auf Arte ausgestrahlten Dokumentation den passenden Titel „Little Richard: I Am Everything“ und würdigt darin das facettenreiche Lebenswerk des Musikers, ohne den die Popmusik eines Prince oder eines Harry Styles niemals möglich wäre. Wobei er den Rock ’n’ Roll in der Geschichte der Schwarzen und der Queerness verortet.

Die Dokumentation erzählt die Geschichte eines am 5. Dezember 1932 geborenen Jungen aus der Kleinstadt Macon im US-Bundesstaat Georgia, der mit elf Geschwistern in engen Verhältnissen aufwächst, die Mutter verehrt und den strengen Vater, der als Pastor illegalen Alkohol verkostet, fürchtet. „Der Süden ist die Heimat des Queeren, des nicht Normativen, des Grotesken“, erläutert die Wissenschaftlerin Zandria Robinson.

Die Geschichte von Little Richard

Der Junge entdeckt die Drag-Kultur, flieht in einen Schwulentreff, in dem Blues und Gospel gesungen wird, und nennt sich Little Richard. Der Musiker Esquerita gibt ihm Klavier-Unterricht. Er trifft Billy Wright, der ihm seinen ersten Plattenvertrag besorgt. Bald tourt Little Richard ohne Unterlass. Mit „Tutti Frutti“ landet er einen Hit. Der Rest ist Geschichte. Er setzt maßgebliche Impulse im Rock ’n’ Roll, wird mit seinen exaltierten Bühnenshows aber auch zum Wegbereiter einer befreiten Queerness.

Aufschlussreich – und auch erschütternd – sind die zahlreichen gesellschaftlichen Hintergründe, die die Regisseurin anhand historischer Filmdokumente in Schwarz-Weiß und Aussagen kenntnisreicher Weggefährten aus Musik und Wissenschaft beleuchtet. So wurde die Musik schwarzer Künstler als „Rassenmusik“ bezeichnet und von Weißen lange nicht gespielt, was sich erst mit dem Siegeszug des Radios und dem Aufkommen von Discjockeys änderte.

Drogen, Sex und der Glaube an Gott

Mit der gleichen totalen Verausgabung wie in der Musik gibt sich Little Richard auch dem Sex und Gott hin. Nach einer dramatischen Erfahrung in einem Flugzeug wird Little Richard gläubig, predigt und singt Gospelmusik. Er führt eine Kurzzeitehe, entsagt kurzzeitig der Homosexualität.

In den 1970er-Jahren gleitet er in die Drogensucht. Zu dem großen Kummer des Musikers, der süchtig nach Anerkennung ist, zählt auch, dass ihn der Musikvideosender MTV ignoriert. Bei den Grammys übergeht man ihn. „Dabei war ich vor Elvis da“, sagt Little Richard nicht ohne Bitterkeit. „Aber er war weiß und ich war schwarz.“

Eine der letzten Szenen zeigt ihn 1997 im Alter von 64 Jahren schwer gerührt, als er endlich eine Ehrung bei den American Music Awards erhält. Die sehenswerte Dokumentation ordnet das Vermächtnis des 2020 gestorbenen Musikers angemessen in die Pop-Geschichte ein.