San Francisco. Mit dem Verweis auf das Völkerrecht wächst der Druck auf Israel, das militärische Vorgehen in Gaza zu stoppen – und was dann?

Verstößt Israel gegen das Völkerrecht mit seinem militärischen Vorgehen in Gaza und wenn ja, beteiligt sich Deutschland mit seinen Waffenlieferungen dann an Kriegsverbrechen? Die Frage, die im TV-Talk von Markus Lanz vom Mittwoch diskutiert wurde, ist heikel – weil sie einerseits die schiere Unmöglichkeit aufzeigt, den Krieg mit dem Instrument des Rechts einhegen zu wollen und rührt andererseits ans Selbstverständnis der Bundesrepublik. Welche Haltung verlangt uns unser historisches Erbe gegenüber Israel in dieser Situation ab?

Viel zu viele Zivilopfer – war das nicht absehbar

Weltweit nimmt der Druck auf Israel zu, das militärische Vorgehen in Gaza zu stoppen. Das Vorgehen fordere zu viele Zivilopfer, sei nicht mehr zu rechtfertigen, argumentiert auch Völkerrechtler Kai Ambos und mit ihm die Co-Vorsitzende des Bündnis‘ Sahra Wagenknecht, Amira Mohamed Ali. Etwa 30.000 bis 35.000 Menschen seien bereits tot, inzwischen herrsche Hungersnot. Kinder sterben. Ambos stellt das militärische Vorgehen, die Zielsetzung Israels generell infrage: Der Gazastreifen ist mit zwei Millionen Einwohnern auf kleiner Fläche eine der am engsten besiedelten Regionen der Welt. Wer die Zerschlagung der Hamas dort mit militärischen Mitteln zu verfolgt, der nehme den Tod von Zivilisten bewusst in Kauf. Ambos zitiert aus einer Studie, wonach 54 von 100 Einsätzen in Gaza zivile Ziele oder Zivilpersonen träfen. Das sei international beispiellos. Das verstoße in seinem jetzigen Ausmaß gegen Völkerrecht.

Militär-Historiker Michael Wolffsohn argumentiert dagegen: Die Hamas opfere die Palästinenser als Schutzschild und Kanonenfutter – indem sie zivile Einrichtungen wie Krankenhäuser und Schulen militärisch nutzt oder sich in Wohngegenden verschanze. Das sei letztlich das Kriegsverbrechen. Die israelische Armee versuche Zivilopfer zu vermeiden – was ab er aufgrund der Guerillataktik der Hamas nicht möglich sei. Vor allem sagt er: Es ist ein Krieg, und in einem Krieg geschehen unmenschliche Taten – ungeplant, ungewollt, in der aktuellen Kampfsituation vor Ort geschehen Fehler. Das lasse sich auch durch das Völkerrecht nicht vermeiden. Und den Krieg begonnen habe die Hamas mit dem Massaker vom 7. Oktober.

Wo bleibt eigentlich der internationale Druck auf Iran und Katar?

Der Journalist Michael Bröcker sieht das ähnlich. Er zeigte sich verwundert, warum sich der internationale Druck derzeit fast ausschließlich auf Israel konzentriert und weniger auf die Geldgeber des Terrors, Iran, Katar oder auf die Hamas selbst: Denn, sobald die Hamas die Geiseln freilasse und die Waffen niederlege, dann sei der Krieg und das Leiden der Zivilbevölkerung sofort vorbei.

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Fazit: Das Zynische an der Situation ist letztlich, dass sich die Hamas aus dem Sterben der palästinensischen Zivilbevölkerung letztlich einen Zuwachs an Macht verspricht, weil das – so das Kalkül – zu einer weiteren Radikalisierung der Bevölkerung und weiteren Zulauf führt. Die Terrororganisation nimmt es also wissentlich in Kauf, dass tausende Menschen für ihr Vorgehen sterben.

Es gilt der alte Grundsatz des Guerilla-Krieges: Die Hamas darf nur nicht verlieren, dann hat sie diesen Konflikt bereits gewonnen. Israel wiederum weiß das – und läuft wissentlich in dieses Dilemma. Die Regierung hat angekündigt, sie wolle die Hamas ein für allemal zerschlagen. Das wird ihr nicht gelingen.

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