Tel Aviv. Die Welt strengreligiöser Juden in Jerusalem wirkt für viele fremd und abweisend. Eine preisgekrönte israelische TV-Serie bringt dem Zuschauer diese Menschen auf überraschende Weise ganz nah.

Der junge ultra-orthodoxe Jude sitzt in einer Jerusalemer Hotel-Lobby und wartet ungeduldig auf seine Flamme. Sie kommt zu spät und setzt sich zögernd ihm gegenüber.

Die schöne Elischeva ist schon zweimal verwitwet, hat einen kleinen Sohn und ist eigentlich zu alt für den sensiblen Junggesellen Akiva. "Ich will nichts davon hören", sagt deshalb Akivas Vater Schulem, als der ihm später von seinem Date erzählt, und gibt ihm eine schallende Ohrfeige.

Die preisgekrönte israelische TV-Serie "Schtissel" erzählt viele solcher kleinen Geschichten aus der schwer zugänglichen strengreligiösen Welt in Jerusalem. Im Zentrum stehen der zynische, aber warmherzige Witwer Schulem Schtissel (Dovale Glickman) und sein jüngster Sohn, der verträumte und künstlerisch begabte "Kive" (Michael Aloni), der auf der Suche nach der großen Liebe ist. Ayelet Zurer, die schon in Hollywood-Produktionen mitgewirkt hat, spielt seine erste Angebetete.

Die Schauspieler sprechen in weiten Teilen der Serie Jiddisch, der Erzählstil ist gemächlich, poetisch, und enthält viele traumartige Sequenzen. Dabei folgt ein Drama auf das andere: Gittis Mann verschwindet nach Argentinien, sie muss die fünf Kinder erst einmal alleine durchbringen. Geld verdient sie bei der Rebbetzin Erblich, die im Altersheim eine illegale Wechselstube betreibt. Gittis minderjährige Tochter Ruchami verliebt sich in einen Meisterschüler und heiratet ihn gegen den Willen der Eltern.

Bemerkenswert ist die hohe Qualität der Dialoge und des facettenreichen Schauspiels - Kritiker feiern "Schtissel" als eine der besten Serien der israelischen Fernsehgeschichte. Die beiden ersten Staffeln von "Schtissel" waren in Israel ein so durchschlagender Erfolg, dass Amazon die Rechte für ein US-Remake gekauft hat. Dort soll die Geschichte in einem jüdischen Viertel des New Yorker Stadtteils Brooklyn spielen.

Die israelische Serie ist eine von mehreren TV-Produktionen der vergangenen Jahre, die sich mit der Welt religiöser Juden beschäftigt. Die Serie "Srugim" zeigte vor allem die Suche junger national-religiöser Israelis nach einem Lebenspartner. Sie beschäftigte sich aber auch mit Tabuthemen wie Homosexualität und dem Verlust des Glaubens. "Urim we Tumim" erzählt von einem Mord in einem strengreligiösen Internat.

Das Besondere an "Schtissel", deren Produzenten jetzt an einer dritten Staffel arbeiten, ist der unverstellte, vorurteilsfreie Blick auf die ultra-orthodoxe Welt. Denn auch viele Israelis haben eine eher stereotype Sicht der "Haredim". "Die Serie versucht nicht, der Welt einen exotischen Sektor zu zeigen, den sie nicht kennt", erklärt Dikla Barkai von der zuständigen Produktionsfirma. "Es ist einfach eine menschliche Geschichte, mit Konflikten, die wir alle haben, es geht um Einsamkeit, Liebe, Sorgen und Elternschaft."

Die Drehbuchschreiber von "Schtissel" kennen das Milieu, das sie beschreiben, von ganz nah. Einer von ihnen, der 32-jährige Jehonatan Indursky, ist als eines von fünf Kindern in einer ultra-orthodoxen Familie in Jerusalem aufgewachsen. In seiner Jugend war er Student der Ponevezh-Jeschiva in Jerusalem, die als intellektuelle Hochburg unter den jüdischen Religionsschulen gilt. Über die Zeit hat Indursky einen Dokumentarfilm gedreht. "Mit 18 habe ich die Jeschiva verlassen, obwohl ich sie sehr mochte, und habe einen neuen Weg gesucht, ich habe mich für andere Dinge interessiert." Sein Interesse führte ihn an die Sam Spiegel Schule für Film und Fernsehen in Jerusalem.

"Schtissel" sei eine "Sammlung von Erinnerungen, Träumen und Gedanken", sagt Indursky bei einem Treffen im Süden von Tel Aviv, wo er heute lebt. Mit seinem schwarzen Hut, dunkelblonden Bart und langem Lockenzopf wirkt er wie eine Mischung aus Tel Aviver Hipster und strengreligiösem Juden. "Diese Welt wird immer ein Teil von mir bleiben, meine Kindheit, meine Sehnsüchte, meine Musik, die Menschen, die ich liebe - obwohl ich selbst nicht mehr dort lebe."

Überrascht habe ihn nicht nur der große Erfolg, sondern auch das positive Echo aus der ultra-orthodoxen Gesellschaft. Die meisten Familien haben dort weder Fernsehen noch Internet, daher seien die verschiedenen Folgen unter der Hand weitergegeben worden, auf gebrannten CDs oder USB-Speichersticks.

"Es hat ihnen gefallen, dass wir versucht haben, ein möglichst authentisches Bild zu zeichnen", erklärt Indursky. "In der ultra-orthodoxen Gesellschaft gibt es so viele verschiedene Strömungen, so viele unterschiedliche Menschen - das ist auch die wichtigste Aussage der Serie." Es seien "Menschen wie Du und ich, die hinfallen und aufstehen, die hoffen und enttäuscht werden". Damit könne sich jeder identifizieren, "vor allem mit den Schwächen", sagt Indursky mit einem jungenhaften Grinsen und zündet sich eine Zigarette an.