Die beliebte NDR-Moderatorin Kristina Gruse ist im “Hamburg Journal“ angekommen. Über eine gar nicht verbissene Karriere.

Ihr Vater hat sie gefragt, warum sie den Kopf immer so weit nach unten beugt, wenn sie den Zettel weglegt. Ihr selbst wäre das nicht aufgefallen. Aber sie weiß jetzt, dass den Zuschauern alles auffällt. "Ich sitze ja sozusagen in ihrem Wohnzimmer", sagt Kristina Gruse und lacht dabei ein bisschen.

Gruse, 34, ist ein Fernsehmensch, man kennt sie aus dem NDR. Sie macht dort Sendungen, die "Naturnah" und "Lust auf Norden" heißen und die Moderatorin dabei zeigen, wie sie die schönen Seiten Hamburgs besucht. Gruse ist im Fernsehen die Frau mit den besten Wochenend-Tipps, und sie erklärt uns die Natur. Zum Beispiel, wie die Meerforellen und die Stichlinge durch die Elbe ziehen. Einmal ist sie auf einem Surfbrett über einen Alsterkanal gepaddelt. Sie wirkte nach ein bisschen Übung ganz patent. Man hätte das nach der Sendung glatt selbst versucht, auch wenn es eine wackelige Angelegenheit ist, weil sie es uns im Fernsehen so begeistert vormacht. Wenn Kristina Gruse nicht aufpasst, wird es vielleicht irgendwann einmal so sein, dass viele sie zur Bundeskanzlerin wählen würden.

Sie ist ja nicht nur eine beliebte Moderatorin, der man gerne bei ihrem Tun zusieht; sie ist seit drei Monaten die neue Nachrichtensprecherin des "Hamburg Journals". Nachrichtensprecher sind der Inbegriff von Seriosität. Damit schlägt sie selbst Günther Jauch: Der ist zwar nur Moderator, aber so beliebt, dass ihm die Deutschen glatt ein hohes Amt andienen würden. Sie halten ihn für schlau. Weil er in seinem Quiz-Dauerbrenner "Wer wird Millionär?" die Fragen stellt. Unterschätze niemand die Macht des Fernsehens!

Aber jetzt mal drei Rollen rückwärts und zurück auf Anfang: Die junge Journalistin Kristina Gruse, in Hameln geboren, würde nie sagen, nicht im Ansatz, dass sie mal ähnliche Beliebtheitswerte haben wird wie Jauch. Dafür wirkt sie viel zu bescheiden - mal davon abgesehen, dass so was eh kein normaler Mensch tun würde. Was Gruse allerdings zugibt, ist: Sie hat einen Karrieresprung gemacht, jetzt, da sie auch Nachrichtensprecherin ist.

Es sind durchaus ein paar Klischees, mit der sich Fernsehjournalisten herumschlagen müssen. Sie werden verspottet: als Aufsager, Poseure, Krawattenträger. Und sie werden bewundert, man nennt die Nachrichtenmoderatoren manchmal Anchorman. Oder Anchorwoman. Sie sind der Anker einer Nachrichtensendung und manchmal sogar der Anker im unüberblickbaren Alltag. Sie sind eloquent, telegen, smart, ihr Äußeres strahlt immer mindestens das Bemühen um Perfektion aus.

Gruse ist sehr stolz gewesen, als sie sie im Frühjahr gefragt haben, ob sie beim "Hamburg Journal" die Nachrichten sprechen will. Und als sie sich gegen ihre Konkurrenz durchgesetzt hat.

"Die Kollegen liefen lächelnd an mir vorbei, für viele kam es überraschend - die Redaktion ist sehr angenehm, man freut sich hier für den anderen", sagt Gruse, die im Gespräch übrigens selbst sehr angenehm ist. Keinerlei Allüren, keine TV-Smartness. Vor uns sitzt eine Frau, die bestimmt nicht nur so tut, als sei sie eine Teamplayerin. Und die, wie sie von sich sagt, "auch nicht verbissen ehrgeizig ist". Darüber wird noch zu reden sein.

Zum Beispiel mit Manfred Schröter. Der ist Redaktionsleiter beim "Hamburg Journal" und muss erst mal überlegen, wie lange er das schon macht. 21 Jahre? Dürfte hinkommen. Schröter ist ein erfahrener Kapitän auf dem Riesentanker NDR. Seine Töchter haben ihm unlängst ein iPad zum 60. geschenkt, aber Schröter ist trotzdem ganz altmodisch: Er raucht tatsächlich Marlboro. Die roten. Schröter hat ein sehr helles Büro, hinter dessen Fensterfront sich die Wolken türmen, er sagt: "Zurzeit haben wir 120 000 Zuschauer im Schnitt. Könnten mehr sein."

Deswegen ist das "Hamburg Journal" im Wandel begriffen, aber eben nie zu sehr: Weil es berechenbar sein muss. Die Anzahl der Beiträge zum Beispiel hat sich im Laufe der Jahre verändert, nicht aber die bewährte Studiobesetzung. Die muss immer ausgewogen die Geschlechter mischen. "Als wir in diesem Jahr einen neuen Nachrichtensprecher suchten, wussten wir, dass es eine Frau sein soll." Neun zum Teil auch externe Konkurrentinnen ließ Gruse hinter sich. Sie war, sagt Schröter, als Live-Reporterin positiv aufgefallen, "aber das hieß nicht automatisch, dass sie auch Nachrichten kann".

Man kann mit Schröter gut über die Regeln des Informationsfernsehens reden ("Nachrichtensprecher tragen Krawatte, Nachrichtensprecherinnen Blazer") und auch über seinen Glauben an die Gruppe. Der Moderator, der Kollege mit dem Promi-Faktor also, sei nichts ohne sein Team, "größenwahnsinnig wird hier keiner". Spricht man ihn auf das Aussehen seiner Frontfrauen an, windet er sich etwas. Dann meint er: "Gutes Aussehen ist nur dann gut, wenn es sich mit Fachkompetenz paart."

Beim Casting, sagt Schröter, habe man auf Handwerk und Aussehen geachtet. Vielleicht rutscht ihm das nur heraus, aber man notiert das dann mal so. Es ist nicht das Lieblingsthema von Fernsehjournalisten. Auf ihr Äußeres werden gerade Frauen nicht gerne reduziert. Verständlicherweise. Und doch hat es unsere Gesellschaft so eingerichtet, dass weibliche Fernsehgesichter ziemlich oft ziemlich hübsch sind. "Solange mich die Zuschauer nicht für blöd halten, nur weil sie finden, ich sei attraktiv, stört mich das nicht", sagt Kristina Gruse. Außerdem sei sie keine, die ständig in den Spiegel schaue. Auch das glaubt man ihr. Aber wie war das jetzt mit der Karriere? Talentschmiede NDR, da war doch was? "Ich konzentriere mich jetzt auf meine Aufgaben beim ,Hamburg Journal'", sagt Gruse. Was soll sie auch sonst sagen? Dann erzählt sie von dem Sprachtraining, das sie einmal die Woche macht. Davon, dass der erfahrene Kollege Jens Riewa ihr viel geholfen hat. Und davon, wie froh sie war, als die erste Sendung als Nachrichtensprecherin vorbei war. Sie hörte ihren Herzschlag im Studio.

Manfred Schröter, ihr Chef, traut ihr wahrscheinlich alles zu. In seinem Regal steht eine Autogrammkarte von Judith Rakers, die beim "Hamburg Journal" anfing und dann schnell zur "Tagesschau"-Sprecherin wurde: "Für den Perlentaucher. Ihre Judith Rakers".

Weil Schröter der ist, der die Talente findet.