NDR das neue werk porträtiert die russische Komponistin Sofia Gubaidulina.

Rund eine Stunde dauert es mit öffentlichen Verkehrsmitteln vom Hauptbahnhof bis zu der vereinsamten Bushaltestelle kurz hinter dem Dorf Appen - eine beschauliche Gemeinde, an deren Rändern gemächlich grasende Kühe und dichter Baumbestand die Nähe der wachsenden Großstadt vergessen lassen. Für Sofia Gubaidulina macht genau diese Abgeschiedenheit den besonderen Reiz ihres Wohnortes aus. "Ich finde es ganz entscheidend, mich in Ruhe konzentrieren zu können." In der selbst gewählten Einsamkeit findet die tatarische Komponistin den Kontakt zur Natur, der für sie eine unabdingbare Voraussetzung für den Schaffensprozess darstellt: "Das ist für mich geistige Nahrung. Auf Spaziergängen gelingt es mir, mich zu versenken und in der Stille zu hören, was in der Welt und im Universum klingt - mithilfe von Sonne, Himmel und Bäumen."

Die spirituelle Naturverbindung und ihr tiefer Gottesglaube sind die stärksten Inspirationsquellen für Gubaidulina, die 1991 aus der Sowjetunion nach Deutschland emigrierte und zu den größten Komponisten der Gegenwart gehört. Als Enkelin eines muslimischen Mullah und Schülerin eines jüdischen Lehrers kam sie schon in jungen Jahren mit verschiedenen Konfessionen in Berührung, bevor sie sich bewusst für das Christentum entschied.

Ihre Kompositionen entfalten eine große religiöse Ausdruckskraft, die mit zahlenmystischen Strukturen und ausgeklügelten Zeitproportionen verwoben ist, so wie in der Sinfonie "Stimmen ...verstummen ..." aus dem Jahr 1986 - einem der Hauptwerke im Programm des Gubaidulina-Festivals: Aus Anlass ihres 78. Geburtstags am 24. Oktober widmet ihr "das neue werk" ein Porträtwochenende mit dem Sinfonieorchester, das in großer Besetzung, aber auch in kammermusikalischen Formationen auftritt. Zum Beispiel bei der deutschen Erstaufführung von "Risonanza" für drei Trompeten, vier Posaunen, Orgel und sechs Streicher. Diese ungewöhnliche Kombination verweist auf einen weiteren Zug im Schaffen von Gubaidulina: Ihr Gespür für neuartige und ganz eigene Klangfarben. Das wird die Komponistin auch in dem Stück "Am Rande des Abgrunds" demonstrieren, bei dem sie selbst ein exotisches Instrument namens Aquafon spielt.

Sofia Gubaidulina zum Geburtstag 23. und 24.10., jeweils 20 Uhr, Rolf-Liebermann-Studio. Karten unter T. 0180/1 78 79 80