Berlin. Jahrzehntelang wurde das Thema verdrängt und verschwiegen - die Ermordung Behinderter durch die Nazis. Kai Wessel bringt die wahre Geschichte eines 13-Jährigen auf die Leinwand.

Mehr als 200 000 Menschen fielen dem "Euthanasie"-Programm der Nazis zum Opfer. Der Film "Nebel im August" erzählt am authentischen Fall eines 13-jährigen Jungen von diesem Massenmord an behinderten und unheilbar kranken Menschen - ein lange verdrängtes Thema.

Regisseur Kai Wessel ("Die Flut", "Klemperer") gelingt eine dichte und packende Geschichte, die das Grauen ohne falsches Pathos nachvollziehbar macht. Das hochkarätig besetzte Drama erhielt bereits den Bayerischen Filmpreis für die beste Regie und den Friedenspreis des Deutschen Films - Die Brücke.

Es geht um den Fall des kleinen Ernst Lossa, der 1942 in die psychiatrische Anstalt im bayerischen Kaufbeuren eingewiesen wird. "Ich gehöre hier nicht hin, ich bin kein Idiot", ruft er beim Anblick der vielen behinderten Kinder. Aber das bisherige Erziehungsheim will den als schwierig geltenden Jungen loswerden. Seine Mutter ist gestorben, der Vater im KZ.

Zunächst zaghaft findet Ernst Freunde in der ungewohnten Umgebung, vor allem die an Epilepsie leidende Nandl (Jule Hermann) gibt ihm Hoffnung. Als immer mehr Kinder nach dem abendlich verabreichten "Himbeersaft" unerwartet sterben, kommt er dem mörderischen Programm der Klinik auf die Spur. Sein Mut zum Widerstand wird ihn am Schluss selbst das Leben kosten.

Ein absoluter Glücksgriff des Films ist Hauptdarsteller Ivo Pietzcker, der schon in dem Familiendrama "Jack" (2014) für Aufsehen sorgte. Obwohl bei den Dreharbeiten erst zwölf Jahre alt, prägt er mit seinem wissenden, ernsten Gesicht die Geschichte von der ersten bis zu letzten Szene.

Überzeugend auch Sebastian Koch ("Das Leben der anderen"), der als Klinikchef in einer perfiden Mischung aus Mitleid und Gnadenlosigkeit zum Handlanger des Systems wird. Fritzi Haberlandt und Henriette Confurius stehen sich als barmherzige, an der Kirche verzweifelnde Nonne und eiskalter Todesengel gegenüber.

Wessel erzählt die Geschichte mit einfachen Dialogen und eindringlichen Bildern konsequent aus der Perspektive Ernst Lossas. Und wie es bei Kindern selbstverständlich ist, gibt es zwischen allem Dunklen immer wieder auch fröhliche und ausgelassene Momente. Die vielen Behinderten, die als Patienten der Nervenheilanstalt zu sehen sind, werden ohne Voyeurismus gezeigt.

Er habe eine Form finden wollen, bei der sich auch die jüngere Generation dem Thema stelle, sagt Regisseur Wessel laut Programmheft. "Der Film muss lebendig sein." Das Drehbuch basiert auf dem gleichnamigen Tatsachenroman des Kaufbeurer Journalisten und Autors Robert Domes, der fünf Jahre lang die Geschichte von Ernst Lossa recherchiert hat.

Historischer Berater war Prof. Michael von Cranach, langjähriger Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren, der die Verstrickung der einstigen Heil- und Pflegeanstalt in das "Euthanasie"-Programm der Nazis aufdeckte. Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff "guter Tod". Die Nationalsozialisten bemäntelten damit die systematische Ermordung von Menschen, die sie wegen ihrer Behinderung für "lebensunwert" erklärten.

Der Klinikchef, der das Todesurteil über Ernst Lossa und so viele andere sprach, wurde nach dem Krieg wegen Beihilfe zum Totschlag in minder bedeutenden Fällen zu drei Jahren Haft verurteilt, heißt es im Abspann des Films. Er habe die Strafe jedoch nicht antreten müssen und später auf dem Gnadenweg auch seine Rente wiedererhalten.

Nebel im August, Deutschland/Österreich 2016, 126 Min., FSK ab 12, von Kai Wessel, mit Ivo Pietzcker, Sebastian Koch, Fritzi Haberlandt, Henriette Confurius, David Bennent und Karl Markocvics