Wieder nervt er mit den richtigen Fragen, wieder ist Naivität seine Waffe: US-Filmregisseur Michael Moore hat sich den Kapitalismus vorgeknöpft

Hamburg. Michael Moore ist das perfekte Feinbild. Jedenfalls für konservative Amerikaner. Respektlos, manche würden auch dummdreist sagen, vergreift sich der Filmregisseur und Autor an ihren heiligen Werten - vom Recht auf Waffenbesitz bis zum US-Präsidenten - und legt gnadenlos die Finger in all die Wunden, die der real existierende American Dream gerissen hat.

Nachdem er sich Anfang der Neunzigerjahre in "Roger & Me" mit den Machenschaften des Automobilkonzerns General Motors beschäftigte, der inzwischen auch Opel in den Abgrund riss, waren später die Waffenlobby ("Bowling For Columbine") und die mangelhafte Gesundheitsversorgung in den USA ("Sicko") dran. Danach konnte in den Zeiten einer globalen Wirtschaftskrise natürlich nur noch eines kommen: die Abrechnung mit der "Wurzel allen Übels", dem Kapitalismus.

Wobei: Hier heißt es genau zu sein, denn in "Kapitalismus: eine Liebesgeschichte" problematisiert Michael Moore weniger das (abstrakte) System an sich, sondern seine Triebfeder, die menschliche Gier. Sie sorgt dafür, dass die privaten Betreiber eines Jugendgefängnisses mit einem Richter zusammenarbeiten können, der Täter im Teenageralter zu Höchststrafen verurteilt, um die Zellen gefüllt zu halten. Sie führt dazu, dass Piloten so schlecht bezahlt werden, dass sie sich einen Zweitjob suchen müssen und im Cockpit vor Erschöpfung beinahe einschlafen. Und ihr ist letztlich auch zu verdanken, dass mit abstrusen und immer schlechter zu durchschauenden Anlagemodellen an der Börse Milliarden verbrannt wurden.

Überhaupt, die Börse: Da ist Michael Moore natürlich in seinem Element. Mal entrollt er rund um einen Teil der New Yorker Wall Street ein Absperrband, das die Polizei normalerweise für die Kennzeichnung von Tatorten benutzt. Dann wieder belagert er Bankengebäude mit dem Ziel, das Geld einzutreiben, das vom Steuerzahler aufgebracht wurde, um einen vollständigen Börsencrash abzuwenden. Alles sehr populistisch, aber natürlich trifft Moore hier den Nerv. Auch wenn er einmal mehr George W. Bush und dessen Administration als Hauptverschwörer gegen eine gerechte(re) Welt vorführt.

Natürlich kann man von Moore genervt sein, wenn er - Naivität als Waffe - mal wieder durch die Gegend poltert. Zumal sich seine Masche einfach abnutzt. Andererseits stellt der Mann die richtigen Fragen. Und dass er häufig keine befriedigenden Antworten bekommt, dafür kann er ja nichts.

++++- Kapitalismus: eine Liebesgeschichte USA 2009, 127 Minuten, ab 6 Jahren, R. Michael Moore, täglich im Abaton, Holi, Koralle-Kino, Zeise; www.kapitalismus-derfilm.de