Es sei eine Legende, so heißt es, die der Wahrheit am nächsten kommt: Alle Menschen werden Steine. Weit nach Ablauf des irdischen Lebens vermählt sich der Nachlass der Existenz mit dem aus Sternenstaub geborenen Eisen der Erde, mit Holz und Harz, und kommt als Felsnase oder dunkle Ader in Granit ein Jahrmilliönchen später erneut zur Welt. (Schubsen Sie also den nächsten Kiesel nicht so rum, es könnte ein Urahn sein.)

So ist unser 1,7 Millionen Jahre alter Findling am Elbstrand vielleicht auch menschlich? Vielleicht beherbergt er das Herz eines skandinavischen Kriegers oder das Lächeln einer blonden Träumerin; wer weiß, was der "Alte Schwede" zu erzählen hätte, von seiner Wanderung durch vergangene Welten?

Die mit den Steinen reden, würden ihn verstehen. Felsflüsterer. Mineraliensammler. Leute, die ganz aus dem Häuschen sind, wenn sie eine 65 Millionen Jahre alte Zecke in einem Bernstein finden oder liebevoll über den 980 Millionen alten Rotgranit der Sitzbänke vor dem Rathaus streicheln und erschauern vor so viel Zeitgeschichte, während Ahnungslose sich darauf den Hintern verkühlen. Es ist eine besondere Sorte Mensch, die in Steinen Poesie und Seele wissen. Sie zeichnet aus, dass sie Homo sapiens nicht als Krone der Evolution missverstehen, sondern als zufällig denkenden Bestandteil eines Dauerkreislaufs. Indem aus Menschen Kirchen und Shoppingmeilen-Sandstein werden, aus Dinosauriern Strandkrümel, aus erloschenen Vulkanen das Fundament einer Metropole (5000 Meter unter uns zum Beispiel). Für die Steinleser sind Werden und Vergehen, Steine und Leben, Damals und Morgen in einer unendlichen Liebesgeschichte verbunden, niedergeschrieben im Antlitz eines Steins. Wenn sie Kristalle, Meteoriten, Edelsteine oder Mineralien berühren, halten sie den Fahrplan der Schöpfung in der Hand.

Früher habe ich Steinsammler belächelt. Dann schenkte mir jemand einen Jadestein, der vor Jahrtausenden im Himalaya geboren wurde. Er fand seinen Weg über die Seidenstraße, diente als Opferstein, als magisches Schamanenamulett; als Pfand und als Ehegelöbnis. Ein Abenteurer und Kosmopolit. Unsterblich. Man könnte neidisch werden - auf Steine.

Mineralien Hamburg 32. Internationale Börse für Mineralien, Fossilien, Edelsteine & Schmuck, 4.-6.12., tägl. 10.00-18.00, Messehallen B1-B4 (U Messehallen). Tageskarte Erw. 10,-, bei Vorlage eines HVV-Tickets 8,-, ab 15.00 nur 5,-; www.hamburg-messe.de/mineralien

Nina George schreibt jede Woche in LIVE und liebt Hamburg.