Frankfurt/Main. Blogs über Bücher boomen. Verlage und Händler nehmen Literaturblogger inzwischen ernst - und spannen sie für ihre Zwecke ein.

Am Dienstag (20. September) werden die sechs Finalisten für den Deutschen Buchpreis verkündet. Von den zwanzig Kandidaten auf der Longlist bleiben dann noch sechs auf der Shortlist übrig.

Wer mehr über diese Bücher wissen will als die Inhaltsangabe im Klappentext, kann neben dem Zeitungs-Feuilleton auch Buchblogs im Netz lesen. Sechs Literaturblogger sind sogar in offizieller Mission unterwegs: Als "die Buchpreisblogger" rühren sie seit Wochen die Werbetrommel - für die besten Bücher des Jahres und für sich selbst.

"Wir erschließen uns damit völlig neue Zielgruppen", begründet Alexander Vieß die Aktion. Er ist beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels für Internet und Social Media zuständig. "Blogger sind wichtig", sagt er, "sie erweitern die Stimmen des Feuilletons ins Netz hinein." Neben fünf schreibenden Kritikern ist 2016, im dritten Jahr der Aktion, erstmal auch ein Video-Blogger dabei.

Der Börsenverein hat die sechs beauftragt, über den Buchpreis, die nominierten Bücher und ihre Autoren, über Hintergründe und Reaktionen im Netz zu schreiben. Eine gemeinsame Plattform auf Facebook verlinkt ihre Texte. Ziel sei es, "Literatur ins Gespräch zu bringen und im Gespräch zu halten", erklärt Vieß.

Nicht alle finden das gut. "Da sitzen sechs tolle Leute und arbeiten umsonst", kritisiert Stefan Mesch, der als Feuilletonist für große Zeitungshäuser und auch als Blogger arbeitet, aber nicht zu den Buchpreis-Bloggern gehört. Er findet: Der Buchpreis schmücke sich mit den Bloggern, die Verlage bekämen gratis Werbung für ihre Bücher, "aber die Blogger sitzen bei solchen Aktionen zu oft nur am Katzentisch".

Rund 2000 Literaturblogger, schätzt Mesch, gibt es in Deutschland, mindestens 80 davon seien literarisch so anspruchsvoll, dass sie ebenso für Honorar für die "Zeit" schreiben könnten wie umsonst für ihren Blog. "Da ist kein riesiger Qualitätssprung mehr", findet Mesch. "Die Blogger sind im Mainstream angekommen. Die Verlage haben keine Berührungsängste mehr. Da ist viel Respekt von außen und viel Professionalität in der Szene."

Was ihn stört, ist "dass die meisten Blogger zu positiv und zu respektvoll sind. Mir sind das zu oft Empfehlungen und zu selten Warnungen." Zwischen all den "Liebeserklärungen" vermisst er Härte, Biss, ein klares Urteil - "mir ist das oft zu kuschelig".

Viele Leser schätzen aber genau das: die persönliche Begeisterung für ein Buch. "Blogs sind wesentlich emotionaler und viel persönlicher", sagt Gérard Otremba aus Hamburg, gelernter Buchhändler, Musik- und Literaturkritiker und Gründer des Online-Magazin "Sounds & Books" und einer der sechs offiziellen Buchpreis-Blogger.

Die Leser mögen es, "dass da jemand dahinter steht, der ein Gesicht hat, mit dem man diskutieren kann", glaubt eine andere Buchpreisbloggerin: Sophie Weigand, 27, Studentin, Buchhändlerin und Bloggerin aus Lübeck. Ein Blog sei keine Einbahnstraße, "im Idealfall kommt wirklich ein Gespräch zustande: zwischen dem Blogger und dem Leser oder unter Kollegen, wenn wir unterschiedlicher Meinung sind." Jüngst stritten sich Weigand und Otremba ganz herrlich über den Longlist-Kandidaten "Apollokalypse": Er mochte es, sie gar nicht.

Dass sie sich als Buchpreisblogger "vor einen Marketingkarren spannen lässt", findet sie nicht. Otremba sieht es als Win-Win-Situation: Er hilft einem Preis, den er gut und richtig findet, und bespricht Bücher, auf die er Lust hat. Im Gegenzug bekommt er "mehr Aufmerksamkeit und hoffentlich viele Zugriffe auf mein Magazin".

Wer liest Literaturkritiken im Netz? "Leser, denen das Feuilleton zu schnöselig oder zu abgehoben ist", glaubt Stefan Mesch. Es gibt so viele und so viele verschiedene Blogs, dass jeder etwas finden kann, was genau seinem Geschmack entspricht - wenn er in der Lage ist, aus der ständig wachsenden Fülle des Angebots das passende herauszufinden. Nicht wenige, sagt Mesch, würden auf die Frage, für wen Blogger schreiben, antworten: "für andere Blogger".