Berlin. In einem kleinen Ort in Süddeutschland verschwinden mehrere Männer. Alle von ihnen älter, hoch angesehen, etabliert. Aber sie teilen ein dunkles Geheimnis, das nur einer kennt: der geheimnisvolle Fremde, der den neuen Roman von Friedrich Ani erzählt.

Ruhig und beschaulich geht es zu in Heiligsheim, einem kleinen, abgelegenen Dorf in Süddeutschland. Jedenfalls nach außen. Blickt man jedoch hinter die Fassade des Ortes, in dem der neue Roman von Krimipreisträger Friedrich Ani spielt, dann tun sich Abgründe auf.

Die Dörfler sind sich einig, dass die Geheimnisse gewahrt bleiben, aber sie haben nicht mit einem Zugezogenen gerechnet.

Dabei ist Ludwig Dragomir gar nicht so ganz neu im Dorf. Drei Jahre lebt er schon allein in seinem Haus, als die Erzählung beginnt. Dragomir ist nicht nur die Hauptfigur, er ist auch der Erzähler der Geschichte. Drei Jahre hat er sich Zeit gelassen, aber nun ist der Moment gekommen, seinen Plan in die Tat umzusetzen.

Denn Ludwig Dragomir ist kein Neuling im Dorf. Ganz im Gegenteil. Er wurde dort geboren und verbrachte die ersten 14 Jahre seines Lebens dort, bis er plötzlich verschwand. Dass er zurückkam und sich niemandem zu erkennen gibt, hat einen ganz besonderen Grund. Er ist der Einzige, der weiß, was ihm und anderen Jungen im Wald nahe dem Dorf angetan wurde. Nur er hat überlebt und die Rolle des Rächers übernommen.

Ani schildert sehr eindringlich, welche Seelenqualen Dragomir durchlebt. Er ist kein strahlender Kämpfer für Gerechtigkeit, aber auch kein dumpfer Mörder. Immer wieder kehrt die Pein der Vergangenheit zurück, der er sich stellen muss. Er weiß, wie schwach er eigentlich ist und welche Stärke sein Ziel erfordert: "Nach so vielen Jahren war meine Wut zurückgekehrt. Meine treue Begleiterin aus Kindertagen. Unversehrt von allen Gebeten und Gedanken. Da war sie wieder. Und ich durfte brennen."

Ani ist sehr geschickt darin, die Leser in die Notlage von Ludwig Dragomir einzubeziehen. Jedes Wort im Roman stammt aus seiner Perspektive. Seine Erinnerungen, seine Interpretationen und seine Logik bestimmen die Erzählung so sehr, dass es schwer ist, ihnen etwas entgegenzusetzen. Die Leser werden so schon fast zu Komplizen des Rächers geformt.

Immer wieder schafft Ani aber auch eine Distanz zwischen Erzähler und Leser, etwa wenn Dragomir seine schlimmen Erinnerungen mit einer lakonisch dahingeworfenen Textzeile aus dem Mary-Hopkins-Schlager "Those were the days" beendet.

So entschieden Dragomir ist, seinen Plan in die Tat umzusetzen, so schwierig wird es, sein Verhalten moralisch zu bewerten, selbst wenn seine Grundüberzeugung lautet: "Das Herzstück meines Vorhabens war nicht der Tod. Sondern die Vernichtung."

Friedrich Ani (57) ist einer der angesehensten deutschen Krimiautoren. Seine Romane um den Detektiv Tabor Süden machten ihn berühmt. Für den im vergangenen Jahr erschienenen Roman "Der namenlose Tag" wurde er mit dem renommierten Deutschen Krimipreis ausgezeichnet.

Kann es für einen Menschen wie Ludwig Dragomir eine Erlösung geben? Der Gedanke an Rache bestimmt sein Leben und die Toten seiner Jugend sind ständig bei ihm. Ani hat eine Lösung gefunden, die ebenso überraschend wie künstlerisch gelungen ist.

Auch "Nackter Mann, der brennt" ist ein Kriminalroman mit Morden, Mördern und polizeilichen Ermittlungen. Aber das ist nicht der eigentliche Charakter des Romans. Friedrich Ani hat ein hochspannendes, kaum einmal vorhersehbares und tief deprimierendes, zugleich aber auch faszinierendes Psychodrama geschrieben.

- Friedrich Ani: Nackter Mann, der brennt. Suhrkamp Verlag, Berlin, 223 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3-518-42542-8.