Berlin. Ein Frau strandet am Münchner Flughafen und lässt ihr Leben Revue passieren. Katja Lange-Müller erzählt in ihrem neuen Roman von einer Krankenschwester, die selbst zum Notfall wird.

Die Bereitschaft zum Helfen liegt in der Natur des Menschen, der seinen in Not geratenen Artgenossen nicht im Stich lassen will. Aber was geschieht mit dem, der sein ganzes Leben der Aufgabe widmet, das Elend der anderen zu lindern? Wird er vielleicht irgendwann selbst zu einem hoffnungslosen Fall?

Um diese gerade in Zeiten von Flüchtlingskrise und Bürgerkriegselend wieder sehr aktuellen Fragen dreht sich der neue, gewohnt lakonisch und pointiert erzählte Roman "Drehtür" von Katja Lange-Müller. Die 1951 in Ostberlin geborene Autorin ("Böse Schafe") hat keine schnellen Antworten parat, sondern beleuchtet in kleinen Episoden aus dem Leben ihrer traurigen Heldin Asta Arnold, wie der Einsatz für andere die eigene Existenz auffressen kann.

Asta hat ihr ganzes Leben als Krankenschwester geschuftet, die letzten 22 Jahre im Dienst von diversen Hilfsorganisationen in Krisengebieten. Am Ende häuften sich die Fehler, sie wurde nachlässig. Jetzt ist sie 65, steht vor einer gläsernen Drehtür am Münchner Flughafen, und lässt Schlüsselerlebnisse aus ihrem Leben Revue passieren. Zuletzt hatten ihre lieben Kollegen für den Flug, den sie sarkastisch "Aus-Flug" nannten, gesammelt, um die ins Trudeln geratene Asta endlich loszuwerden.

Jetzt fliegen ihre Gedanken wie welkes Laub umher, bleiben an Passanten hängen, und Erinnerungen kehren zurück. Zuerst an den von heftigsten Zahnschmerzen gequälten nordkoreanischen Koch, den die junge Asta 1967 nachts auf der Straße in Ostberlin aufgabelt, zu sich nach Hause mitschleppt und wieder aufpäppelt hat. Am nächsten Morgen ist der Koch verschwunden und bleibt unauffindbar.

Oder die Geschichte des ostdeutschen Malers Georg Golz, ein guter Freund von Asta, der zusammen mit ihr 1983 ausreisen darf und in Berlin-Charlottenburg seine erste große Ausstellung hat. Nach der feuchtfröhlichen Vernissage kehren Asta und Georg noch einmal zur Galerie zurück und müssen feststellen, dass sämtliche Gemälde geraubt wurden. Totaler Zusammenbruch, dem Künstler kann dann auch die sonst so geduldige Asta nicht mehr helfen.

Elegant reiht Katja Lange-Müller diese verstreuten Lebensschnipsel aneinander und stolpert immer wieder über "zwielichtige Wortgebilde". Diese Autorin setzt ihre sprachlichen Mittel sehr bewusst ein und wundert sich mit ihrer Protagonistin über Begriffe wie "Gesundheitswesen" oder das ominöse "Helfersyndrom". Sie klopft die hohlen Phrasen ab und entlarvt einen Jargon, hinter dem das Humane längst verschwunden ist.

Richtig Pech hat ihre Heldin Asta mit Männern. Die Beziehungskatastrophen kulminieren in einer tragikomischen Urlaubsgeschichte aus Tunesien. Vier Wochen lang sitzt Asta in einem Ferienghetto mit Kurt fest, dem ehrgeizigen Sozialwissenschaftler, den sie heimlich nur den "eisernen Hintern" nennt. Der Mann entpuppt sich als misantrophischer Nörgler und Tierhasser, während Asta aufopferungsvoll eine schwangere Katze pflegt, die sie liebevoll "Filzkugel" getauft hat.

Dieser zuweilen bitterböse, sarkastische, schön beiläufig erzählte Roman kann nicht gut ausgehen, aber Lange-Müller gönnt uns ein relativ offenes Ende und hinterlässt mehr unbequeme Fragen als einfache Antworten. Der Jury des diesjährigen Deutschen Buchpreises war er eine Nominierung auf der Longlist wert.

- Katja Lange-Müller: Drehtür. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln, 216 Seiten, 19 Euro, ISBN 978-3-462-04934-3.