Berlin. Wenn es Neues vom englischen Lieblingsautor gibt, haben echte Fans wenig Geduld. Bis zum Erscheinen der deutschen Version warten wenige von ihnen. Und auch sonst greifen immer mehr Leser zur Originalversion. Wer kauft dann noch die Übersetzungen?

Ein Theater-Script auf Platz eins der deutschen Bestsellerlisten? Und noch dazu eines auf Englisch? Harry Potters neuestes Abenteuer macht das möglich: "Harry Potter and the Cursed Child" steht seit dem Erscheinen der Originalversion Anfang August ganz oben.

Die Leser wollen sich offensichtlich nicht mehr gedulden, bis ihr literarisches Highlight auf Deutsch erschienen ist. Und das betrifft nicht nur Fans von Hogwarts und Co. Das Geschäft mit Büchern auf Englisch brummt.

"Ja, das Interesse an englischsprachigen Büchern ist hierzulande in den letzten Jahren gestiegen", sagt Thomas Koch, Pressesprecher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Zwischen 2013 und 2014 sei allein der Wert der aus Großbritannien importierten Bücher um etwa 12,5 Prozent gestiegen: auf knapp 175 Millionen Euro. Dazu kamen Bücher aus den USA im Wert von 39 Millionen Euro. Motor der Entwicklung seien neben "Harry Potter" wohl auch andere Publikumslieblinge wie "Die Tribute von Panem" oder "50 Shades of Grey".

Im Original am meisten verkauft wurden nach Angaben von "buchreport" in diesem Jahr Werke von Jojo Moyes, Harper Lee und Paula Hawkins - hinter "Harry Potter and the Cursed Child" (Harry Potter und das verwunschene Kind), dem Theaterstück, das Ende Juli in London Premiere feierte.

Der Buchhandel reagiert auf den Trend. Nach jährlichen Zuwächsen im zweistelligen Prozentbereich eröffnete das Kulturkaufhaus Dussmann in Berlin 2010 eine eigene englische Abteilung auf zwei Etagen - Teppiche mit Schottenmuster inklusive. Die Buchhandelskette Thalia hat in den vergangenen Jahren ihr Online-Angebot an englischsprachigen Titeln vergrößert und verzeichnet nach Angaben einer Sprecherin seit einigen Jahren ein gewachsenes Interesse daran. Und auch kleinere Buchhandlungen auf dem Land ziehen nach.

Die Gründe für die gewachsene Lust auf Englisch liegen für den Psychologieprofessor und Leseforscher Ralph Radach auf der Hand. "Leute, die sich das früher im Leben nicht zugetraut hätten, schauen heute Serien und Filme im Original", sagt Radach. "Das ist ein völlig neues Phänomen." Genau das übertrage sich aufs Lesen - und zwar zuerst auf Literatur mit Kultstatus. "'Game of Thrones' im Original lesen zu können, ist eine Herausforderung, die in den Altersgruppen und Freundeskreisen mit Coolness belohnt wird", meint er.

Außerdem sprächen die Deutschen einfach viel besser Englisch als früher - eine Einschätzung, die der British Council teilt. Die Kulturorganisation nimmt nach eigenen Angaben jährlich Tausenden von Deutschen Sprachtests ab. Ergebnis: Die Teilnehmer schneiden von Jahr zu Jahr besser ab, wie eine Sprecherin sagt.

Nicht alle profitieren so von dieser Entwicklung wie beispielsweise Petersen Buchimport. Das Unternehmen, das hauptsächlich Läden in Bahnhöfen und Flughäfen mit fremdsprachiger Literatur beliefert, verzeichnet steigende Umsätze bei einem konstanten Kundenstamm, wie der Geschäftsführer Clemens Birk berichtet. Kurzzeitig war der Run auf das neue "Harry Potter"-Stück so groß, dass das Unternehmen nicht mehr liefern konnte.

Auf Verlage übe der Englisch-Boom dagegen gehörig Druck aus, sagt Birk. "Die deutschen Verlage veröffentlichen schneller Übersetzungen - vielleicht aus Angst, dass sie sonst Umsatzeinbußen hinnehmen müssten." Wer braucht schließlich ein Buch auf zwei Sprachen?

Der Carlsen-Verlag, der die "Harry Potter"-Bücher auf Deutsch herausgibt, veröffentlicht am 24. September die Übersetzung des neuesten Werks, "Harry Potter und das verwunschene Kind". Einen generell gestiegenen Druck bemerkt man dort nicht. Die Unternehmenssprecherin Katrin Hogrebe räumt zwar ein: "Ja, es gibt Leser, die die englischsprachige Version lesen und dann kein Buch auf Deutsch mehr kaufen." Das heiße aber nicht zwangsläufig, dass insgesamt weniger Leute die deutsche Version kauften. Eher würden noch mehr Menschen auf das Buch aufmerksam.

Kannibalisierungseffekte nimmt auch der Börsenverein bislang nicht wahr. Und wer weiß? Vielleicht gibt es ja doch den ein oder anderen Hardcore-Fan, der mehrfach zuschlägt: auf Deutsch und auf Englisch.