In den lesenswerten Büchern von A. L. Kennedy wird kein Pardon gegeben. Ein Treffen, bei dem es auch um den Sinn des Fechtens ging.

Hamburg. Reingelegt. Mächtig reingelegt. So wie A. L. Kennedy aus Glasgow schreibt, könnte man sich die Person hinter den erbarmungsarmen Romanen und Kurzgeschichten auch als einen bulligen Kerl vorstellen. Ein Bilderbuch-Schotte, breit wie eine Schrankwand, der seine Worte zweifingrig in eine whiskyverklebte Tastatur hämmert. Schmerzhafte Ehrlichkeiten und zerstörte Träume prägen diese Geschichten; Menschen verletzen einander, immer wieder, immer stärker, weil sie es nun mal können. Es gibt toll geschriebene Sex-Szenen als Bonus.

Aber dann, dann steht da diese äußerlich zierliche Frau vor einem, pleased to meet you, eingepackt in viele Stoffschichten gegen den Herbst. Freundlich und amüsant ist Alison Louise Kennedy, aber schon beim Foto-Spaziergang an die gleichnamige Brücke verbal ums Gegenüber herumtänzelnd. Witterung aufnehmen. Chancen für Fluchtwege in Ironie suchen und diesen bissigen Humor, der sofort auf die Kehle losgeht. Sie spricht eher leise und sagt ziemlich viel dabei.

Eine Seefahrt ist nicht lustig, eine Seefahrt ist nicht schön, das wäre ein Destillat ihres neuen, sechsten Romans. "Das blaue Buch" erzählt auf 360 teilweise subtil codierten Seiten eine Dreiecksgeschichte auf hoher See. Es geht um zwei Vorgaukler und mindestens einen Menschen, der dabei auf der Strecke bleibt. "Wenn Sie sich meine Arbeit ansehen - eine Liebesbeziehung ist da nicht unbedingt etwas nur Gutes."

Ihr Zug nach Hamburg hatte Verspätung, wegen "eines Personenschadens". Tragisch, fürchterlich findet sie das, sagt sie. Sie sagt aber auch, dass sie so drei unerwartete Stunden mehr Zeit hatte, um zu schreiben. Brutal, aber wenigstens ehrlich.

Abends, bei ihrer Lesung im Literaturhaus, gibt Kennedy, die so melodiebewusst liest, wie andere einen Liederabend geben, aber auch Kostproben ihres Könnens als bühnenerfahrene Stand-up-Comedienne mit Dozentenbrille; sie ist viel mehr Seinfeld aus Manhattan als Cindy aus Marzahn. Der britische Premier David Cameron habe ein Gesicht, das sie an von innen heraus unreine Seife erinnere, sagt sie. Auf die Zwölf, diese Pointe, eine von vielen und womöglich sogar spontan.

Dass einer der beiden Männer in ihrem Roman den Vornamen Derek trägt, mag für Nicht-Briten nicht weiter tragisch oder komisch sein. Wird es aber, weil Kennedy gemein schmunzelnd erklärt, dass es dort, wo sie herkommt, keinen Männernamen gebe, der weniger sexy sei. Zur Abrundung schiebt sie eine Blanko-Entschuldigung hinterher, falls ein Horst im Saal sein sollte.

2004 schrieb Kennedy einen Erlebnisaufsatz über den Besuch eines Sylter FKK-Strands, den das "FAZ"-Feuilleton sich gönnte: "Hier lagen Nackte, die, wie wir sehen konnten, ohne mit der Wimper zu zucken das Bruttosozialprodukt von Ecuador für Botox mit Trüffelduft ausgeben würden - wenn sie überhaupt noch mit einer Wimper zucken könnten." Beim Tranchieren mit Worten ist sie beängstigend toll.

Aber ist A. L. Kennedy, 47, zwischen Wohnung in London und Schreibtisch in Glasgow pendelnd und von Rückenschmerzen ebenso geplagt wie von der Erkenntnis, dass es so viele dümmere und selbstzufriedenere Menschen gibt, ist diese Frau wirklich so beinhart? Ja, aber auch gern und ungemein sanft zugleich. Man darf sie nur nicht unterschätzen. Etliche Standardfragen zu sich und ihrer Arbeit hat Kennedy auf ihre Homepage gestellt und als Abschreckungsmaßnahme gleich selbst beantwortet. "Ist der Autor tot?" - "Natürlich nicht, du großer Dummbatz. Das ist eine genauso sinnlose Frage wie: Ist Käse parallel?"

Also dann, beim Kaffee, die erste Frage ohne amateurhaftes Vorabgeplänkel: Was ist einfacher - Romantiker zu sein oder Zyniker? Nicht ein Moment des Nachdenkens vor dem Konter, warum auch. "Alle Zyniker sind Romantiker, sonst hätten sie nichts, worüber sie zynisch sein könnten."

Sie mag Fechten, das war irgendwo im Internet vergraben. Gibt es verbindende Nervenbahnen zwischen der Tätigkeit mit dem Florett und der mit dem Wort, das ist eine Frage ganz nach Kennedys Geschmack. Sie lächelt, tatsächlich. "O ja, o ja", beglückt. Touché. "Die finden Sie schon bei Cyrano de Bergerac. Man versucht, sie zu berühren. Das versuchen wir. Andere zu berühren." Dann pausiert sie, um in sich hineinzulächeln. "Sie müssten de Bergeracs Handschrift sehen. Das ist die Handschrift eines Mannes, der gut mit dem Schwert ist." Sie macht diese Geräusche einer feinen Klinge, die erst die Luft zerteilt und danach das Gegenüber.

Für Fechten hat sie leider keine Zeit mehr, für andere Hobbys ebenso wenig. Sechs Jahre habe es gebraucht, zwei Jahre Zeit zu finden, um Autofahren zu lernen und Tai-Chi. "Schreiben ist furchterregend, man wird immer Angst haben." Das Zitat ist aus dem Zusammengang gerissen und damit falsch, richtiger wäre: Je mehr man schreibe, desto mehr gewöhne man sich daran. "Die Angst hört dann auf, jene Sorte Angst zu sein, die einen vom Schreiben abhält, und wird zum Hintergrundgeräusch." Für ordentlichere Arbeit sei sie jedenfalls nicht mehr zu gebrauchen. "Dabei arbeite ich viel länger als die meisten anderen." Sie arbeiten nicht, Sie schreiben nur. "Schon klar, ich weiß, was Sie meinen. Aber: Sie sollten das mal versuchen, nur für eine Woche ..."

Und dann landen wir wieder beim Fechten. "Ich war einmal bei einem Wettkampf. Da war ein Mann, den man einfach nicht nicht ansehen konnte. Er war viel älter als die anderen. Und er tat fast nichts." Sie schwärmt von asiatischen Film-Schwertkämpfern, die ihre Opfer umkreisen, bis es zu spät ist. "Du bist nur noch nicht tot, weil der Zeitpunkt noch nicht ganz der richtige ist. Wenn der richtige Zeitpunkt erreicht ist, wirst du tot sein. Es geht um den Fokus. Und den Fokus. Und den Fokus."

A. L. Kennedy "Das blaue Buch", übersetzt von Ingo Herzke. Hanser, 365 S., 21,90 Euro