Die Schriftstellerin Tina Uebel hat ihren eine Zeit lang verbotenen Roman umgeschrieben. Es geht um Literatur, nicht um Provokation.

Hamburg. Die Hamburger Autorin Tina Uebel ist durchaus eine Frau der markigen Worte, sie sagt: "Das war schon ein richtig, richtig beschissenes Gefühl, das ich in der vergangenen Zeit hatte, mir ging es nicht gut." Und weil die 41-Jährige eine emotionale Persönlichkeit ist, die ihr Herz auf der Zunge trägt, würde sie gerne in allen Details erzählen, was sie seit Februar beschäftigt hat. Was sie schlecht hat schlafen lassen. Aber sie darf nicht. Es geht um rechtliche Dinge und Gesetzliches.

Also um etwas, womit man als Schriftstellerin nichts zu tun haben will, sofern man nicht den John Grisham gibt und Courtroom -Thriller schreibt. In Tina Uebels im Februar bei C. H. Beck erschienenen fünften Roman mit dem krachenden Titel "Last Exit Volksdorf" geht es aber weder um gewiefte Winkeladvokaten oder kriminelle Verschwörungen, sondern um üble Familien und böse Menschen, die so Böses tun, dass einem übel werden kann. Die schlimmen Zustände im Vorstadtidyll riefen die Anwälte auf den Plan, weil sich eine Person in einer der Romanfiguren wiedererkannte. Per Unterlassungserklärung wurde das Buch vom Markt genommen.

Keine schöne Sache für Uebel, die aus Volksdorf stammt und seit vielen Jahren auf St. Pauli lebt. Drei Monate lang wurde um das Buch gerungen, jetzt ist die Sache ausgestanden und "Last Exit Volksdorf" wieder in den Buchläden (wir berichteten). Freilich in einer Neuversion, weil die juristische Gegenseite Bedingungen stellte. Zu denen zählte auch, dass Uebel nicht über das spricht, was ausgehandelt wurde. Weshalb der sonst immer eloquenten Frau nur der einstudierte Satz über die Lippen kommt: "Bitte haben Sie Verständnis, dass ich aus juristischen Gründen zu der Sache weiter nichts sagen kann."

Das ist einerseits schade, weil man doch gerne wüsste, wie sich Kunst und Jurisprudenz so ins Einvernehmen setzen, wenn zwei Seiten hart aufeinanderprallen - "Esra" lässt grüßen. Der Streit um den gleichnamigen Roman Maxim Billers, 2003 erschienen und kurz danach verboten, wurde bis vor das Verfassungsgericht getragen. In sämtlichen Instanzen wurden die Persönlichkeitsrechte gegen die Kunstfreiheit verteidigt. Gegen Biller zu Felde gezogen waren damals seine ehemalige Lebensgefährtin und deren Mutter.

Tina Uebel hat in der Umgestaltung von "Last Exit Volksdorf" auf "20 bis 30 Seiten" Änderungen vorgenommen. "Die Struktur, der Plot ist der Gleiche geblieben", erklärt sie. Was der Vergleich von "Last Exit Volksdorf I" und "Last Exit Volksdorf II" beweist: Eine der Figuren trägt nun einen anderen Namen, eine Szene, die die Verrohung der Jugend am deutlichsten zeigt, wurde ganz gestrichen.

In Uebels Volksdorf sind die Gewaltexzesse nun nicht mehr ganz so schlimm, aber moralisch wird immer noch unter aller Kanone gehandelt. Übrigens besonders von den Erwachsenen, die ihre Kinder zu ziemlich einsamen Wesen erziehen. Stellenweise ist "Last Exit Volksdorf" überzeichnet, der Roman hat trotzdem starke Teile. Die Ausarbeitung der Charaktere ist eindringlich und keineswegs schablonenhaft, und der intertextuelle Bezug auf Hubert Selbys "Last Exit Brooklyn" (1964 erschienen) ist ein schönes literarisches Spiel. Namentlich Letzteres hat Uebel dazu verleitet, den Ort ihrer Herkunft in den Titel des Romans zu nehmen. "Ein Fehler", räumt sie jetzt ein, "natürlich wollte ich eine 'volksdorf-eske' Situation schildern und nicht die Verhältnisse in Volksdorf selbst."

Volksdorf kann also überall sein und steht für alle Volksdörfer dieser Erde. Gestern Abend hat Uebel erstmals in Volksdorf aus dem Roman gelesen. Ohne mulmiges Gefühl. "Es geht um Literatur, als solche soll mein Roman behandelt werden - man kann ihn gut oder schlecht finden", sagt Uebel.

Die Sinnleere und Wohlstandsverwahrlosung im Setting der gut betuchten Mittelschicht, dargestellt an einem Hamburger Außenbezirk: Dass sich da manche auf die Füße getreten fühlten, war voraussehbar. Einen Skandal provozieren wollte Uebel allerdings nicht, sagt sie -"und deswegen ist es irgendwie auch gut, dass ich über den Rechtsstreit nicht reden darf". Auf sensationsheischende Leser kann sie verzichten, soll das heißen. Uebel hat in den vergangenen Wochen regelmäßig aus ihrem Werk gelesen, "Last Exit Volksdorf" dabei aber gezwungenermaßen ignoriert und meist ihre Reiseberichte vorgestellt. Dass sie jetzt endlich aus dem Roman lesen kann, hat eine lindernde Wirkung auf die Literaturmacherin ("Machtclub"). "Gut, dass die Sache endlich vom Tisch ist", sagt Tina Uebel erleichtert, wer kann ihr das verdenken.

Tina Uebel: Last Exit Volksdorf. Verlag C.H. Beck. 303 S., 19,95 Euro