Der Film von Matthias Glasner mit Jürgen Vogel und Birgit Minichmayr ist ein überragend inszeniertes Drama um Schuld und Vergebung.

Am Kaffeetisch Schweigen. Björn und Sophie starren ins Leere. Wie gelähmt. Unfähig, etwas zu sagen. Gerade hat das Elternpaar erfahren, dass Maria, die Frau eines deutschen Ingenieurs, ihre Tochter in einer dunklen Polarnacht mit dem Auto angefahren und Fahrerflucht begangen hat. Das Schulmädchen war bei dem schon einige Tage zurückliegenden Unfall gestorben. Dann bricht aus Björn all seine Wut heraus. "Warum seid ihr hergekommen?", fragt er Maria und ihren Mann Niels. Er hat an seiner Trauer genug zu tragen, er möchte nicht auch noch mit der Schuld des Ehepaares konfrontiert und belastet werden. Für Gnade und Vergebung fehlt ihm die Kraft. Noch.

"Ich bin nicht dieser Mensch", sagt Maria (Birgit Minichmayr) flehend zu ihrem Mann (Jürgen Vogel). Sie, eine Frau, die aufopferungsvoll in einem Hospiz todkranke Kinder pflegt. "Ich werde immer die sein, die das Mädchen liegen und sterben hat lassen. Und du wirst immer der Mann von der Frau sein, die das Mädchen liegen und sterben hat lassen." Maria kann nicht mit der Schuld leben, deshalb tritt sie den Bußgang an. Aus Eheleuten, die sich schon lange auseinandergelebt haben und die in der Eiswüste von Hammerfest ihre letzte Chance suchen, werden durch den Unfall und die Folgen Komplizen. Die gemeinsame Schuld - sie durch die Tat, er durch das spätere Vertuschen - schweißt das Paar ganz neu zusammen.

Regisseur Matthias Glasner hat dieses Drama beeindruckend in Szene gesetzt. Die Kälte der nordnorwegischen Landschaft korrespondiert mit dem eisigen Verhältnis, das anfangs zwischen Niels und Maria herrscht. Er geht mit einer Kollegin fremd, sie reibt sich im Hospiz auf, der 14 Jahre alte Sohn (Henry Stange) hängt wie ein Fremdkörper zwischen ihnen. Glasners Film, der auf einem Roman des dänischen Schriftstellers Kim Fupz Aakeson basiert, überzeugt durch die präzisen Dialoge, das genaue Timing und die beiden überragenden Hauptdarsteller Vogel und Minichmayr. Sie loten ihre Figuren tief aus, ihr nuanciertes Spiel lässt die psychischen Abgründe sichtbar werden und erklärt, warum die fast schon gescheiterte Ehe eine neue Chance bekommt.

Maria und Niels sind Beispiele für moralische Menschen. Ihre Entscheidungen erarbeiten sie sich in quälendem Abwägen und getrieben von schlimmen Gewissensbissen. Für den Zuschauer ist es spannend, diesen beiden Menschen in dieser Extremsituation zuzusehen, jedoch nicht als Voyeur, sondern als Betrachter, der selbst in eine ähnliche Situation hineingeraten könnte. "Gnade" ist mit seinen Konflikten dicht an der Wirklichkeit. Auch das macht ihn zu einem herausragenden Film in diesem Kinoherbst.

Bewertung: empfehlenswert

"Gnade" D 2012, 132 Min., ab 12 J., R: Matthias Glasner, D: Jürgen Vogel, Birgit Minichmayr, täglich: Abaton, Blankeneser, Passage; www.gnade-derfilm.de