Seit 50 Jahren versuchen Bösewichte, Kritiker und Finanzjongleure, James Bond außer Dienst zu stellen. Aber 007 hat die Lizenz zum Nicht-getötet-Werden.

Weltherrschaft ... der alte Traum", antwortet James Bond nur müde, als ihm Dr. No ausschweifend seine finsteren Pläne vorstellt. Wir schreiben den 5. Oktober 1962. "James Bond - 007 jagt Dr. No" wird in London uraufgeführt, und das Publikum staunt. Es staunt über Honey Rider, die im weißen Bikini aus karibischen Fluten hüpft. Es staunt, wie Dr. No in kochenden Kühlwasserfluten seines Atomreaktors versinkt. Und es staunt natürlich über Bond, der lässig allen Gefahren entkommt. Immer.

Nicht irre Wissenschaftler, kalte Krieger, Terroristen oder Medienmogule werden in den folgenden 50 Jahren die Welt beherrschen, sondern ein einzelner britischer Geheimagent des Secret Intelligence Services MI6, Codename 007, Klarname Bond. James Bond.

Offiziell wird man bis heute 23-mal versuchen, dieses Hindernis für die Weltherrschaft des Bösen, des Kommunismus oder des Geldes aus dem Weg zu räumen. Und kläglich scheitern. Mit viel Einfallsreichtum, Kapital und viel krimineller Gewitztheit errichten Dr. No, Blofeld, Goldfinger, Largo, Le Chiffre und Co. Raketenbasen und Raumstationen, Unterwasserschlupfwinkel und Bohrinseln, in denen es von Handlangern wimmelt, die in Einschienenbahnen durch schick designte Wohnparadiese zuckeln. Es fehlt nur noch Tine Wittler, die hier und da noch ein verschollen geglaubtes Goya-Gemälde zurechtrückt. In großen Dimensionen können sie denken, die Bösewichte. Aber sie sind armselige Nullen beim Beseitigen eines Doppelnull-Agenten mit der Lizenz zum Nicht-getötet-Werden.

Und doch versuchen sie es immer wieder. Mit Würgedrähten, aus Schuhsohlen springenden Klingen, scharfkantigen Hüten, sogar mit einem Weltraumlaser. Gern genommen sind auch tierische Attentäter wie Haie, Krokodile, Giftspinnen, aber meist wird auf ein Heer namhafter (Beißer! Schnick Schnack! Oddjob!) und namenloser Schergen zurückgegriffen. Mehr als eine ordentliche Tracht Prügel und saftige Schläge in die Kronjuwelen (die von Bond, nicht die seiner Dienstherrin) sind nicht drin. Bond kann austeilen und einstecken.

Dabei sind Bonds Schwächen hinlänglich bekannt. Da wäre der Alkohol in Form von reihenweise gestürzten Wodka-Martinis (geschüttelt, nicht gerührt), Bollinger-Champagner und Bourbon Whiskeys. Und ist ein Drink vergiftet, hat 007 natürlich einen Defibrillator im Handschuhfach des Aston Martin. Die zweite große Schwäche: Frauen. Blonde, Brünette, Rothaarige. Alle Größen, Hautfarben und Intelligenzquotienten. Manche Bond-Girls wollen ihm Böses, manche nur eine schnelle Nacht. Mit den Jahren werden sie schlauer und selbstständiger, auch sinkt der Frauenverschleiß des Agenten pro Film auf ein annehmbares Maß. Und doch heißt es am Ende immer: "Sex zum Dinner und Tod zum Frühstück", wie Miranda Frost 2002 in "Stirb an einem anderen Tag" stellvertretend für alle anderen Honey Riders und Pussy Galores resigniert anmerkt. "Ich hab nun mal keine Lust auf feste Beziehungen", antwortet Bond. Nur einmal, 1969 in "Im Geheimdienst Ihrer Majestät" tritt Bond vor den Traualtar und heiratet. Es ist die Gelegenheit für 007, den Dienst zu quittieren. Und was machen Blofeld und seine Lakaien? Sie erschießen die Braut! Idioten!

James Bond hingegen lebt mehr als nur zweimal. Tödlich sind seine Missionen nur für die Gegner. Bond leben und die Halunken im Angesicht des Todes am Morgen oder an einem anderen Tag sterben lassen. So geht das seit 50 Jahren auf der Leinwand. Dabei wird nicht nur in, sondern auch hinter den Kulissen vieles dafür getan, um die Romanerfindung von Ian Fleming endgültig außer Dienst zu stellen.

Schon als "James Bond jagt Dr. No" in die Kinos kommt, feuert die Kritik aus allen Rohren: Für das "Time"-Magazin ist Bond nur ein alberner, "großer haariger Marshmallow". Der Vatikan verdammt wenig überraschend Brutalität und Sexualität. Für den Kreml ist Bond natürlich Abbild des kapitalistischen Bösen. Und das bereits vor dem Dr.-No-Nachfolger "Liebesgrüße aus Moskau" (1963). Aber weder die Kinokrise der 80er-Jahre noch Konkurrenzfilme wie die Persiflage "Casino Royale" (1967) und Sean Connerys halb gares Comeback in "Sag niemals nie" (1983) können den Mythos längerfristig ankratzen. Und die Unzahl der durchaus erfolgreichen Epigonen, allen voran Jason Bourne, Ethan Hunt ("Mission Impossible") oder Xander Cage ("xXx"), schon gar nicht.

Der einzige Feind, der James Bond mehrfach wirklich gefährlich wird, ist sein vermeintlich bester Freund: der Kapitalismus. Nach dem sowohl inhaltlich wie auch finanziell größten Flop der offiziellen Bond-Reihe, "Lizenz zum Töten" (1989), dauert es sechs lange Jahre, bis man sich mit "GoldenEye" an eine Wiederbelebung wagt. Auch das kommende Abenteuer "Skyfall" steht lange auf der Kippe, weil die Finanzkrise die Produktionsgesellschaft Metro-Goldwyn-Mayer im November 2010 in die Insolvenz und anschließende Umstrukturierung zwingt.

Nun soll "Skyfall" (deutscher Kinostart: 1. November) nicht nur die Welt retten, sondern auch MGM mitsanieren. Bond wird also wieder nicht sterben. Er wird ja auch gebraucht. Die Filmindustrie braucht Blockbuster. Die Werbepartner brauchen Platz für Armbanduhren, schnittige Autos und andere Produkte. Und wir brauchen Bond, weil er unsere Dreckarbeit erledigt.

Schon immer ist 007 mehr als Action, Sex und Martinis. Das sind nur die Zutaten im Kampf gegen die bösen Buben. Die Perspektiven ändern sich: Kalter Krieg und Tauwetter-Annäherung, Post-Kommunismus und Terrorismus, Medienmacht und Medienohnmacht begleiten Bond durch 23 Auftritte. Der kleine Zeitgeist wie der Star-Wars-Hype der späten 70er ("Moonraker", 1979) oder der Poker-Trend ("Casino Royale", 2006) werden ebenso aufgenommen wie der große: Alleine in "Ein Quantum Trost" dreht sich alles um Korruption in Politik und Gesellschaft, um Ökologie und Ökonomie im Umgang mit den Ressourcen Wasser und Öl sowie um die moralische Integrität der Geheimdienste MI6 und CIA. Dass das nur der Anstrich für aufwendig inszenierte Verfolgungsjagden zu Lande, zu Wasser und in der Luft ist - geschenkt.

Denn Bond ist für das kleine Rad im Getriebe, das hier für das Gute schmiert und dort Sand gegen das Böse streut. Mit unbändigem Willen und Makeln, mit elegantem Stil und roher Gewalt. Wer nicht davon träumt, im Aston Martin, Baujahr egal, unter dem Hintern vor piekfeinen Hotels zu parken, während Sekretärin Moneypenny den Papierkram erledigt, und Vorgesetzten am Telefon zu sagen, was sie einen können ... ist entweder humorlos, stinkreich oder Chef des MI6.

Mal so richtig aufräumen, Gas geben, tolle Frauen verführen: Wir können sie nur passiv im Kino erleben, diese einfachen Mittel für schnelle Lösungen. Natürlich beantworten sie keine Fragen der Zeit, und auch die zum 23. Mal gerettete Welt bleibt schlecht.

Und doch ist Bond unser Mann. Nicht die britische Queen ist seine oberste Vorgesetzte, auch nicht "M". Sondern wir. Wir hocken im Sessel, klauben Popcorn aus den Ritzen, und können Adeles Titelsong für "Skyfall" kaum erwarten. Denn danach gibt es 140 Minuten den Beweis, dass Bond lebt, auch wenn er mal wieder für tot erklärt wird. Sowohl im Film als auch hinter den Kulissen. Die Rituale vom geschüttelten Martini bis zur berühmten Titelmelodie sind uns in Fleisch und Blut übergegangen, auch wenn das Gesicht von James Bond zwischen 1962 und 2012 öfter wechselt als das Gesicht auf der Kinderschokolade.

James Bond beherrscht die Welt. Der Traum, die Herrschaft der Doppelnull zu brechen, ist 50 Jahre alt und doch nur ein Traum. Für Haderlumpen, Kritiker und andere Filmgeheimagenten. "Erwarten Sie von mir, dass ich rede?", fragt 007 seinen Widersacher 1964 in "Goldfinger". "Nein, Mr. Bond", antwortet Goldfinger, "ich erwarte, dass sie sterben." Doch James Bond stirbt nie. Niemals, nie.