Claudio Abbados Lucerne Festival Orchestra begeisterte mit Mozart und Bruckner

Hamburg. Was ist die höchste Steigerungsform von Glück? Glückseligkeit? Seligkeit? Die Offenbarung? Es war jedenfalls eine elysische Sphäre, in die das Lucerne Festival Orchestra zur Saisoneröffnung der Elbphilharmonie-Konzerte am vergangenen Freitag die ausverkaufte Laeiszhalle emporhob - zumindest im ersten Teil. Anton Bruckners Sinfonie Nummer 1 c-Moll in der 1891 vom Komponisten revidierten "Wiener Fassung", die Claudio Abbado nach der Pause auswendig dirigierte, ist ein für derlei Gefilde zu sperriges, zu irdisches, zu sehr mit sich selbst ringendes Werk.

Natürlich machte die unvergleichliche musikalische Intimität zwischen Abbado und dem von ihm gegründeten Lucerne Festival Orchestra - mit all den Konzertmeistern bedeutender Orchester im Tutti, lauter Top-Solisten unter den Bläsern und einem Zauberkünstler des Pianissimo an den Pauken ist es die Band der Bandleader des Klassikbetriebs - auch Bruckners verrückte Musik zu einem berauschenden Erlebnis. Ungefüg prallt da einiges aufeinander, bleibt Melodisches unerlöst und von seltsam sich reibenden Rhythmen getrieben in diesem Werk, das den Hörer stellenweise überfällt wie ein brutales Mysterienspiel. Wer die zwischen maßlosem Aufbäumen und devoter Frömmigkeit oszillierenden Energien der Partitur freisetzen will, muss viel vom Widerspruch des Menschen verstehen und von seinem Vermögen, ihn in sich auszuhalten. Abbado zeigte keinerlei Scheu vor Ruppigkeit und bewahrte sich doch auch beim Dirigieren von Bruckner seine wunderbar anzusehende, altersweise Anmut.

Was den Abend aber für sehr lange Zeit zur kostbarsten musikalischen Erfahrung überhaupt werden ließ, ereignete sich vor der Pause. Da verschwand der zarte Claudio Abbado fast vollständig aus dem Blickfeld des Parketts und entfaltete seine Magie unsichtbar hinterm aufgeklappten Deckel des Steinways, an dem Maria Joao Pires im roten Folklorerock und in grauer Hausjoppe saß und Mozarts G-Dur-Klavierkonzert KV 453 spielte. So sympathisch unmondän ihr Auftritt, so feinnervig, so vollendet musikalisch und durchdacht spielte sie Mozart, dessen Musik nach einem dem Pianisten Artur Schnabel zugeschriebenen Wort für Kinder zu leicht und für Erwachsene zu schwer sein soll.

Frau Pires widerlegte dieses gescheite Paradoxon, denn sie brachte tiefe Weisheit und größte Einfachheit spielend überein. Und das Orchester begleitete sie derart innig, dass man in dem gemeinsam geschaffenen Klang für die unerhört lange Dauer von vier ganzen Mozart-Sätzen die Anwesenheit des Göttlichen zu spüren meinte. Das war ein guter Moment zum Sterben. Leider verpasst - dafür bis zum letzten Ton dabei gewesen.