NDR-Programmdirektor Frank Beckmann über das Vorabendprogramm der ARD, Heimat-Krimis und den ersten Til-Schweiger-“Tatort“.

Hamburg. "Wer braucht Bilder, wenn er so einen Ausblick hat", sagt Frank Beckmann und wendet den Blick von den recht kahlen Wänden des Büros im 14. Stock beim NDR in Lokstedt einem Hamburg-Panorama aus Hafen, Michel und Elbphilharmonie zu. Die drei Fernseher, die sein Vorgänger - der frühere NDR-Programmdirektor Volker Herres - im Büro aufgereiht hatte, sind einem großen Flachbildschirm gewichen.

An diesem Morgen ist er ausgeschaltet - ausnahmsweise. Als der Fotograf ihn auf den schmalen Balkon scheucht, sagt Beckmann mit einem Lächeln: "Dann mache ich euch mal den James Bond."

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Hamburger Abendblatt: Herr Beckmann, wie beginnt der Tag eines Programmdirektors?

Frank Beckmann: Bevor ich ins Büro gehe, gucke ich mir die Marktanteile vom Vortag an. Als Programmdirektor bekommt man sein Zeugnis gleich am nächsten Tag. Nach den Zahlen ist man ein bisschen schlauer und weiß: Fand der Zuschauer es genauso gut wie wir?

Hat der Blick auf die Quoten Sie zuletzt eher gefreut oder betrübt?

Beckmann: Wenn ich auf die NDR-Quoten gucke, mache ich derzeit Luftsprünge. Wir liegen für 2012 jetzt bei einem Jahres-Marktanteil von 7,5 Prozent - das ist der höchste Wert seit fünf Jahren. Im Vergleich mit den anderen dritten Programmen hat der NDR die starke Konkurrenz durch EM und Olympia besonders gut gemeistert. Anschließend gucke ich auf die Marktanteile des Ersten, die bei guten 12,5 Prozent liegen. Darüber dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass wir hier Baustellen haben, an denen wir arbeiten müssen. Fußball-EM und Olympia haben zum guten Wert beigetragen, aber das gibt's nicht jedes Jahr.

Sie sind neben Ihrem Job als NDR-Programmdirektor auch Vorabendkoordinator der ARD. Thomas Gottschalk hat diese Zeitspanne mal als "Todeszone" bezeichnet. Freuen Sie sich auf den Tag, an dem Sie den Job wieder los sind?

Beckmann: Ich fürchte, das steht nicht an. (lacht) Von der Idee, mit der ich angetreten bin, bin ich fest überzeugt: Wir konzentrieren uns auf verschiedene Regionalkrimis der einzelnen Sender unter der Dachmarke "Heiter bis tödlich". Zu den großen Stärken der ARD zählt ihre regionale Verankerung, aber auch das fiktionale Erzählen. Wir konzentrieren uns auf die Geschichten, die es aus diesem Land zu erzählen gibt und die hier produziert werden.

Abgesehen von zwei bayerischen Krimis und dem "Großstadtrevier" ist der große Zuschauererfolg bislang ausgeblieben.

Beckmann: An dem Tag, als ich den Job des Vorabendkoordinators übernommen habe, war mir klar: Ich werde gebetsmühlenartig Geduld predigen. Derzeit feilen wir am Profil der einzelnen Formate. Das Ergebnis wird man erst im nächsten Jahr zu sehen bekommen.

Die viel beschworene Geduld haben sie bei "Gottschalk live" nicht gehabt. Ärgern Sie sich, das Format überhaupt auf Sendung gebracht zu haben?

Beckmann: Wenn einer der erfolgreichsten Moderatoren hierzulande ein Format hat, von dem er wirklich überzeugt ist, dann ist es richtig, ihn dabei zu unterstützen. Experimente halte ich für wichtig. Man muss immer wieder Neues ausprobieren, sonst wird sich das Fernsehen nie weiterentwickeln. Experimente bergen das Risiko des Scheiterns und schaffen Bewegung im Markt - allerdings hätte ich mir die Bewegung bei "Gottschalk live" anders gewünscht.

Hat Gottschalks Talk die "Heiter bis tödlich"-Serien beschädigt?

Beckmann: Darin lag für mich von Anfang an das größte Risiko, das sich leider realisiert hat. Deshalb war es richtig, das Experiment nach 70 Folgen zu beenden.

Im Herbst starten noch einmal drei regionale Krimis. Ist diese Häufung auf Dauer nicht ein bisschen öde? Was ist denn mit so tollen Serien wie "Berlin, Berlin", die es einst im ARD-Vorabend zu sehen gab?

Beckmann: Schauen Sie sich die einzelnen Formate doch an: Wir zeigen Serien, die viel Action bieten wie "Hauptstadtrevier", "Hubert und Staller" ist beinahe Comedy, "Fuchs und Gans", das im Herbst startet, eine Art Familienserie. Die Vorgabe der regionalen, humorvollen Krimis lässt enorm viel Freiraum. Aber eine gewisse Einheitlichkeit am Vorabend ist wichtig. Die Zuschauer erwarten zu dieser Zeit verlässliche Angebote. Innerhalb dieser Grenze suchen wir nach größtmöglicher Variation.

Herr Beckmann, was erwartet der NDR-Zuschauer von seinem Sender?

Beckmann: Er sucht im NDR Fernsehen regionale Informationen, häufig mit Nutzwert, also Servicethemen. Außerdem lässt er sich gerne mit Geschichten aus dem Norden unterhalten.

Einen großen Stellenwert nimmt hier der "Tatort" ein. Im nächsten Jahr ermitteln zwei neue Kommissare für den NDR: Wotan Wilke Möhring und Til Schweiger. Wie haben Sie reagiert, als ihr Fernsehspielchef Christian Granderath mit diesen Vorschlägen zu Ihnen kam?

Beckmann: Ich war begeistert. Wotan Wilke Möhring ist auch in der Presse hervorragend angekommen. Für den NDR hat er zuletzt in dem Mobbingdrama "Homevideo" gespielt, das mehr Preise gewonnen hat als jeder andere Spielfilm in diesem Jahr. Mit ihm gehen wir sicherlich den richtigen Schritt.

Was ist mit Til Schweiger? Mit dieser Besetzung hadert ja der eine oder andere ...

Beckmann: Til Schweiger spielt in der Top-Liga der deutschsprachigen Schauspieler ganz weit oben. Ich kenne bereits das Drehbuch und wage deshalb die Prognose: Der "Tatort" wird ein großer Erfolg werden. Es wird viel Action geben und außerdem viel zu lachen.

Wer wird Regie führen?

Beckmann: Christian Alvart. Alvart ist ein Wanderer zwischen Hollywood und Deutschland. Er hat für den NDR schon Borowski-"Tatorte" gemacht, in Kalifornien und Kanada hat er mit Renée Zellweger gedreht, in Deutschland und Großbritannien den Science-Fiction-Film "Pandorum" mit Dennis Quaid.

Herr Beckmann, zum Jahreswechsel übernimmt der NDR den ARD-Vorsitz. Eines der größten Probleme, mit denen Sie sich dann beschäftigen müssen, ist die Talkschiene im Ersten, die ja auch als Talkshow-Flut bezeichnet wird. Gibt es zu viele Talkshows im Ersten?

Beckmann: Der Begriff Talkshow-Flut ist entstanden, nachdem wir von vier auf fünf Talks erhöht haben. Bei 60 Minuten mehr pro Woche beginnt Ihrer Meinung nach eine Flut? Für mich nicht. Ich sehe viele Talkshows und bin hinterher oft schlauer. Jeder Zuschauer schätzt einen anderen Moderator. Deshalb empfinde ich die Vielfalt an dieser Stelle als Vorteil. Und vom Donnerstag abgesehen haben wir an jedem anderen Tag einen Quotenzuwachs.

Am Donnerstag talkt Reinhold Beckmann. Für den sieht es zahlenmäßig nicht gut aus. Gibt es Hoffnungen, dass Beckmann zurück auf den Montag geht?

Beckmann: Meiner Meinung nach würden am Montag auch zwei Talkshows gut funktionieren, Beckmann hatte hier schließlich sein Stammpublikum. Aber derzeit ist das kein Thema.

Verfolgen Sie eigentlich den Prozess um die ehemalige NDR-Fernsehspielchefin Doris Heinze, die wegen Betrugs angeklagt ist und derzeit vor dem Hamburger Landgericht steht?

Beckmann: Nur am Rande. Für uns ist das Thema abgehakt. Was Frau Heinze dem NDR schuldete, hat sie zurückgezahlt. Der derzeitige Fernsehspielchef hat keine Ambitionen, selbst Drehbücher zu schreiben, Pseudonyme werden im Haus intern immer offengelegt. Wir haben in dieser Sache unsere Hausaufgaben gemacht. Aber es ist nie völlig auszuschließen, dass jemand querschießt. Das ist Teil dieser Welt, nicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Nun sind Sie ja nicht irgendein Unternehmen, sondern finanzieren sich über Gebührengelder.

Beckmann: Deshalb ist es auch richtig, dass die Presse berichtet, wenn etwas bei uns schiefgeht. Gerade weil uns so auf die Finger geschaut wird, ist meine These: Alles kommt irgendwann raus.

Beim KiKa, dessen Geschäftsführer Sie waren, konnte Marco Kirchhoff relativ ungestört große Summen veruntreuen. Haben Sie rückblickend Fehler gemacht?

Beckmann: Diesen Betrugsfall hinter meinem Rücken nicht bemerkt zu haben ist bitter für mich. Wir haben über zehn Jahre einen Sender aufgebaut und zum erfolgreichsten Kindersender Europas gemacht - aber den Betrug haben wir nicht entdeckt. Darüber werde ich mich Zeit meines Lebens ärgern.