Die Regie ist Mittelmaß, doch Adrienne Pieczonka führt bei der Premiere der Wagner-Festspiele in Bayreuth eine achtbare Sängerriege an.

Bayreuth. Was für ein Schlussbild: Beim ersten Abholen seines Beifalls vor dem Bayreuther Vorgang fiel Samuel Youn auf die Knie, dankbar, erschöpft und ergriffen. Wenige Tage vor der Premiere vom Reserve-"Holländer" zum Hauptdarsteller eines Skandals befördert, weil die hektisch abgereiste A-Besetzung großflächige Hakenkreuz- und Runen-Tattoos aufgewiesen und mit deren Enthüllung auch die Festspielleitung blamiert hatte - das kann einem hier schon mal die Füße wegziehen. Der Rechtfertigungs- und Erfolgsdruck war für alle immens.

Diese Erkenntnis musste auch der Bayreuther Regie-Debütant Jan Philipp Gloger machen; er stellte sich den wütenden Buh-Rufen der Kundschaft allerdings stehend. Glogers dritte Opernregie überhaupt wird nicht die letzte gewesen sein, sie war aber auch keine gute. Sie gab sich nur viel Mühe, an dieser Prestige-Adresse, wo alle schon immer sehr vieles besser wussten, nichts allzu dramatisch verkehrt zu machen. Eine so gediegene, konzeptionell grobmaschig gestrickte Regiearbeit wie diesen "Holländer" hätte man auch an einem beliebigen Stadttheater erleben können. Doch das hier war Bayreuth: beinharte Sitze, Angela Merkel in der Loge, die Tradition von 100 Festspielsommern im Nacken. Während des kompletten ersten Akts dieses "Holländers" wollte das ungute Gefühl nicht weichen, da habe ein Talent zwar kein großartiges Konzept, aber - deutlich schlimmer - eine große Idee gehabt. Glogers szenisches Allheilmittel: Sein Fliegender Holländer ist nunmehr ein frustrierter Frequent Flyer aus den Niederlanden, ein Geschäftsmann, den es mit seinem Rollkoffer voller Geld und Coffe-to-go-Becher aus irgendeiner Flughafen-Lounge-Hölle ans Land spülte, um nach sieben öden Jahren Zwangspause wieder einmal seine Geschäfte zu machen. Diesmal stand Ehefraueneinkauf an.

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Angetrieben wurde er in einem Bühnenbild, in dem flackernde Schaltkreise und rasende Zahlenkolonnen den virtuellen Raum unserer Gegenwart simulieren; und damit man sieht, dass dieser Business-Class-Zombie kein handelsüblicher Handlungsreisender sei, war seine Stirnpartie gefleckt, wie beim Terminator, wenn dessen Tarnschicht aus Fleisch und Blut Risse bekommt. Ans Maritime der Vorlage erinnerte unterdessen nur noch ein verdruckst geparktes Ruderbötchen, in dem Industriekapitänskollege Daland (Franz-Josef Selig) und sein eifrig schleimender Steuermann (Erik Bruns) herumliegen oder singen mussten.

Ansonsten passierte, was kaum zu verhindern ist, wenn man einen so auf Lustgewinn-Maximierung erpichten Wagner-Meister wie Christian Thielemann im Graben hat und ihm kein entsprechendes szenisches Gegengewicht bieten kann: Sänger-Parken.

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Thielemann, ganz der Breitwand-Klangcharmeur guter alter Schule, übernahm souverän das Ruder. Er erfüllte den Sängern mit dem exquisiten Festspielorchester zwar jeden Wunsch, bettete sie von Anfang an auf diesem satten, präzisen und durchhörbaren Wahnsinns-Klang, den nur dieser eine Saal bieten kann. Zur Strafe musste das durchgängig beachtliche Sänger-Ensemble allerdings wie angenagelt mittig herumstehen. Und Youns Schicksal dabei war es zunächst, vor allem angespannt zu sein und sich auf die weit strahlende Stärke seiner Stimme zu verlassen. Tiefe, Tiefgang, Abgründe gar hatte sie nicht, auf den Grusel über dieses finstere Phantom der Meere wartete man vergeblich. Sein Holländer war vielmehr ein solider Leichtmatrose von der Stange, passend zu den Seemännern, die Gloger als Abteilungsleiter-Rudel, das seinen Herzensdamen an Land was Hübsches, Teures, Buntes zum Anziehen mitbrachte, in ödem Grau über die Bühne trieb.

Die Männer also austauschbar. Die meisten Frauen ebenfalls. Alles Arbeitsbienen, außer Senta. Während ihre Kolleginnen vom altbackenen Spinnrad zum moderneren Verpacken von Ventilatoren versetzt waren, hockte Senta, bockig, romantisch, eigensinnig, in sattes Rot gewandet, abseits der Monotonie und bastelte sich aus Pappe ihren rot bemalten Traumprinz und dessen rot bemaltes Schiff. Ihr Verehrer Erik hatte sich vom Jäger in einen latschigen Hausmeister mit Althippie-Zopf verwandelt, da muss man ein-fach wählerisch werden. Zur Verkündung ihrer Absichten ließ Senta rosa Herzchenballons steigen, als Protest gegen die brav-biedere Uniformität der Kolleginnen. Ein wirklich starkes Bild, endlich, ein starker Charakter, endlich.

Adrienne Pieczonka, gern gehörter und gesehener Gast an der Dammtorstraße, war vom ersten Ton an Hauptperson und treibende Kraft dieser "Holländer"-Bebilderung. Sie sang nicht einfach im Kostüm, sie spielte, war agil, packend und glaubwürdig. Zweitmotor war der wie immer herausragend gute Chor, unerschütterliches Qualitätsfundament, und sei die Regie noch so wacklig oder, wie hier, im Seichten unterwegs.

Aber was eine solch starke Senta zu einem derart blassen und verwässerten Holländer zog? Gloger wusste es offensichtlich auch nicht und schmiss stattdessen, sicher ist sicher, die mit Pappkartons befüllte Drehbühne an, auf der sich zum finsteren Ende hin die gemeinsame Himmel- oder Höllenfahrt des ungleichen Paars vollzog. Sie endeten als kitschiges Traumpaar in einer letzten Umarmung.