Historische Romane verkaufen sich blendend. Zielgruppe sind Frauen. Wie Joël Tan. Kürzlich ist ihr Debüt erschienen. Was fasziniert daran?

Hamburg. Ihren Mann schickt Joël Tan, die junge Mutter, leidenschaftliche Reiterin, studierte Journalistin, der überzeugte Familienmensch und die ausschließliche Leserin historischer Romane, ihren Mann also schickt Joël Tan erst einmal weg. Ein paar Runden drehen mit dem Töchterchen. Der Mann von der Zeitung ist jetzt da, und zur Arbeit einer frischgebackenen Autorin gehört auch die Öffentlichkeitsarbeit. Na ja, eigentlich ist das jetzt ihr erstes Interview. Und eigentlich ist "Die Frau des Ratsherrn" auch schon ein paar Monate alt: ihr Debütroman.

Dieses Buch, ein Wälzer von knapp 650 Seiten, hat viele Buchstaben und viel Handlung, ist eine kleine Erfolgsgeschichte. Es hat sich nämlich schon einige Tausend Mal verkauft; nicht schlecht für eine Debütantin. Aber typisch für das Genre, das besonders in Deutschland seit vielen Jahren schon sehr erfolgreich ist. Süffig geschriebene Schinken wie "Der Medicus" und "Die Säulen der Erde" hatten nirgendwo so viel Erfolg wie hierzulande. Diese Form von Genreliteratur wurde hier begründet: Die Leipzigerin Christiane Benedikte Naubert (1752-1819) veröffentlichte einst, meist anonym, über 50 historische Romane.

Dass der historische Roman durch das Wirken einer Frau populär wurde, ist kein Zufall. Eine neue Studie zeigt, dass heute zwei Drittel der Autoren von historischen Romanen weiblich sind. Historische Romane machen zurzeit acht Prozent des Gesamtumsatzes auf dem Buchmarkt aus. Sie haben Stammplätze auf den Bestsellerlisten. Umberto Ecos "Der Name der Rose" (erschienen 1980, einer der wenigen Titel, die zur Hochliteratur zählen) und Lew Wallaces "Ben Hur" (erschienen 1880) gehören zu den bekanntesten Werken des Genres. Die genauen Zahlen ihrer so erfolgreichen literarischen Disziplin kennt die Hamburger Autorin Joël Tan nicht, sie sind ihr nicht so wichtig. Wichtig ist, dass sie seit einiger Zeit das macht, was sie schon immer machen wollte. "Andere wollten immer Astronaut werden, ich wollte immer historische Romane schreiben", sagt Joël Tan und setzt sich.

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Das Sofa, auf das sie sich setzt, steht in einem Schnelsener Wohnzimmer. Schöner Parkettfußboden, Flachbildfernseher, an den Wänden Pferdebilder. Und der Schädel eines Wasserbüffels. Das könnte man skurril nennen, muss man aber nicht. Die Passion der Joël Tan, sie ist 30 Jahre alt, ist ja auch nicht wirklich skurril. Tan interessiert sich für das Mittelalter, genauer: für das 13. Jahrhundert. Für die Zeit, in der in Hamburg noch 5000 Menschen lebten, die "Mechthild" oder "Bertram" hießen und Dänen nicht so toll fanden.

Das Leben in der Stadt wurde von den Ratsherren geregelt, die Kaufleute handelten mit edlen Tuchen und hatten gute Beziehungen zu Flandern, am Fischmarkt verdienten Seeleute ihr Geld, und das soziale Leben zentrierte sich um die Kirchengemeinden, die damals dieselben waren wie heute auch: St. Petri, St. Nikolai, St. Katharinen, St. Jacobi. Nur den Mariendom am Speersort gibt es heute nicht mehr, er wurde bereits 1805 abgerissen.

Wege waren nicht aus Stein, sondern aus Holzbohlen. Die Menschen, die darübergingen, waren ganz andere als heute: Männer waren oft tyrannisch, grausam und intrigant, Frauen unterwürfig, grausam und intrigant.

Von heute aus betrachtet: eine seltsame Welt. Aber skurril? Das Mittelalter ist ganz schön en vogue, man erinnere sich nur an den Fernsehmehrteiler "Die Wanderhure", der außerordentlichen Zuspruch erfuhr.

Die Gründe für die Empfänglichkeit für die Vergangenheit sind vielfältig und nicht nur romantisch: Das Früher ist ja nicht nur kostümierte Gegenwart, sondern auch ein Fluchtpunkt aus aktueller Tristesse. Krise, Jobmangel, Bankenbankrott - im Jahre 1269, in dem "Die Frau des Ratsherrn" anhebt, spielt das alles keine Rolle. Die Welt da draußen, hier und heute, ist unübersichtlich, früher war sie übersichtlich.

Das Phänomen der Rollenspiele, zu denen sich leibhaftig oder am Computer unvermindert Leute verabreden, spiegelt sich in den Bücherstapeln, wie sie in den Literaturhandlungen ausliegen: Auch in Hamburg ist das Genre immer noch sehr populär, "das Mittelalter ist auch aktuell die bevorzugte Epoche vieler Autoren und Leser", sagt Harald Butz von der Buchhandlung Heymann.

Die, sagen wir mal, ästhetische Eigensinnigkeit der historischen Romane fällt dem Betrachter übrigens immer grell ins Auge: Die Buchcover muten wie historisierende Kitschgemälde an. "Und oft sind Frauen zu sehen", sagt Tan, "denn Frauen sind die Zielgruppe."

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Ein bisschen schmunzeln muss sie schon, wenn sie an manche Begleiterscheinungen ihrer Arbeit denkt, da ist der geschichtlich falsche Buchdeckel ihres eigenen Werks ("Im 13. Jahrhundert trugen Frauen keine Korsetts") locker verschmerzbar. Gleiches gilt für die vielen Ausflüge, die die Autorin aus Recherchegründen unternommen hat. Joël Tan besichtigte hochschwanger die Überreste der Burg Linau in Schleswig-Holstein, suchte mit ihrem Mann in der Gemeinde Bornhöved nach dem Gedenkstein für die Schlacht der Hamburger gegen die Dänen im Jahr 1227, ging die historische Elbstadt Schritt für Schritt ab, um einen Eindruck vom alten Hamburg zu bekommen.

Und sie fuhr mit dem Hamburgischen Verein für Geschichte auf Exkursion, "da war ich immer die Jüngste zwischen lauter alten Männern, die sich kaum vorstellen konnten, dass ich diese Ausflüge freiwillig machte - dabei war niemand so interessiert an den Spuren des Mittelalters wie ich." Wer sich für die ferne Vergangenheit interessiert, muss sich ein Bild von ihr machen.

Tan las im Staatsarchiv und in der Staatsbibliothek, sie durchpflügte lateinische und mittelniederdeutsche Quellen. Ihre Geschichten sind oft pure Fiktion ("Ich schreibe einfach drauflos"), aber manche ihrer Figuren gab es wirklich: Den Ratsherrn Albert von Hohenstedte zum Beispiel, um dessen Verschollensein im Eismeer sich weite Teile der munter und ungezwungen fabulierten Saga drehen. Den zweiten Teil ("Die Tochter des Ratsherrn", erscheint im Oktober) hat Tan bereits fertig, der dritte befindet sich in der Endphase: Es wird sich in den Folgebänden nicht mehr nur um die Ratsherren, sondern um die anderen mittelälterlichen Mächte in Hamburg drehen: die Schauenburger Grafen und den Klerus.

Tans Bücher erscheinen beim Münchner Verlag Blanvalet, nach den Branchenführern Bastei-Lübbe und Droemer-Knaur einer der wichtigsten Erscheinungsorte für historische Romane. Bei Blanvalet erscheinen jährlich etwa 25 neue Genretitel, von denen allein die Newcomer im Schnitt eine Auflage von 30 000 haben. Bekannte Blanvalet-Autorinnen wie die unter anderem in Bremen aufgewachsene Diana Gabaldon haben durchaus auch mal eine Gesamtauflage von acht Millionen verkauften Exemplaren.

Historische Romane spielen zu allen Zeiten, "der historische Krimi ist ein weiteres nicht zu vernachlässigendes Subgenre", sagt Inge Kunzelmann, die bei Blanvalet arbeitet. Innerhalb des Genres gebe es anspruchsvolle Autoren, die wie Ulrike Schweikert oder der Spanier Gonzalo Giner ihren Schwerpunkt auf gründliche Recherche legten. Oder auch den anspruchsvollen historischen Roman, wie ihn Marina Fiorato schreibe. "Wichtig ist die exotische Familiensaga, die in den letzten Jahren den klassischen historischen Roman zurückgedrängt hat", sagt Kunzelmann.

Joël Tan ist eine schnelle Arbeiterin. Und eine, die Sympathien mit ihren Helden hat. Ragnhild, die titelgebende Frau Alberts und schöne Dänin, muss am Ende wie alle Hamburger einen schweren Brand überstehen, sie muss Ränke ertragen und ihr gutes Wesen gegen die schlechte Welt verteidigen.

Joël Tan sagt zwar, sie habe beim Schreiben sehr darauf geachtet, ihrem literarischen Personal nicht allzu stereotype Züge zu geben, trotzdem stellt man bei der Lektüre fest: Die Guten sind immer richtig gut, die Bösen immer richtig böse. Vieles mag mit unserer heutigen Welt nichts mehr zu tun haben, im Kern geht es im historischen Roman aber um archaische Geschichten, um verbotene Liebe, um Geschwisterzwist und um Eifersucht.

Man sagt, historische Romane seien nicht anspruchsvoll und ihre Leser seien es ebenso wenig. Vielleicht stimmt das, aber die geschmäcklerischen Mäkeleien an der schnellen Konsumierbarkeit der Bücher (die Amerikaner nennen sie "Pageturner") sollten nicht den Blick darauf verstellen, dass die historischen Stoffe oft handwerklich gut gearbeitet sind. Tan bekommt Leserbriefe und viel Lob in einschlägigen Foren im Internet, den naserümpfenden Bildungsbürger hat sie noch nie getroffen. Wo sie doch selbst auch mit dessen Welt nichts zu schaffen hat. Die sogenannte ernsthafte Literatur liest sie ja auch nicht, und sie fährt gut damit.

Die momentan boomenden Vampir-Romane ignoriert sie übrigens, "und mein Literaturagent sagt, dass Engel als Romanhelden der nächste Hype sein werden".

Joël Tan zuckt mit den Schultern, als sie das sagt: Eigentlich ist ihr ja egal, was in den Bestsellerlisten ist. Wenn ihr Kind ihr die Zeit lässt, will sie den letzten Teil der Trilogie schon bald beenden. Und dann sei es auch gut mit Hamburg und seinen alten Geschichten, "ich will auch mal über etwas anderes schreiben".

Hauptsache Mittelalter, klar.

Jol Tans Debüt "Die Frau des Ratsherrn" ist bei Blanvalet erschienen, Der Megaseller: Ken Folletts "Die Säulen der Erde" erschien 1990