Autoren und Kritiker trafen sich bei der “Hamburger Begegnung“ am Schwanenwik, um über den Eros in der Literatur zu diskutieren.

Hamburg. Dass das wirkliche Leben in die Literatur hineinragt, ist keine sonderlich originelle These - geschenkt, ist eh klar. In den Büchern, den hehren und großen Gegenständen der Weltauslegung und Selbstreflexion, geht es im Grunde um nur wenige und immer die gleichen Themen. Um den Tod zum Beispiel. Und um die Liebe. Um die ganz besonders: In Hamburg trafen sich nun die wichtigsten Kritiker des deutschsprachigen Raums und eine Reihe namhafter Autoren, um über den Eros in der Literatur zu diskutieren.

Über die Leidenschaft kann man mit Leidenschaft reden und sich in der Papierwelt der Buchstaben gar zu leicht an die Theorie verlieren. Und deswegen, Stichwort: Wirklichkeit, forderte ungefähr bei Halbzeit der hochgeistigen Unternehmung eine Teilnehmerin die sinnliche Durchlüftung des heftig gestauten Denkraums: Man solle sich doch einfach, gerne auch nach Preisgabe der Kleidung, ein wenig hinstrecken auf dem Boden des altehrwürdigen Literaturhauses am Alsterufer. Allen theoretischen Ballast mal abwerfen! Das klang durchaus verlockend, allerdings: Man hätte durch diesen und auch jeden anderen Abbruch der Diskussion Wissensvermittlung und Erkenntnisgewinn jäh gestoppt.

So war dann Literaturhauschef Rainer Moritz, gemeinsam mit der Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff und Kritikerin Meike Fessmann Gastgeber der "Hamburger Begegnung", auch für die strikte Einhaltung der Kleiderordnung. Umso mehr, als am Abend in den Tagungsräumen eine Hochzeitsfeier stattfand - die Preisung der Liebe in Fleisch und Blut sozusagen.

Wie ist es um die Liebe in der Literatur bestellt? Und in der Gesellschaft? Wie schreibe ich als Autor über die Liebe? Was erwarte ich mir als Kritiker (und mit mir der Leser) vom Schreiben über die Liebe? Das waren die Fragen, die im Groben das Feld des philologischen Austauschs absteckten; grob deshalb, weil die Diskussion immer wieder Umwege nahm und dabei jedoch immer reichen Ertrag einfuhr. "Die Realität 'lieben'? Welch Ekel für die Liebenden" war die Veranstaltung betitelt, zu der unter anderem die Schriftsteller Thomas Hettche, Jan Peter Bremer sowie Georg M. Oswald, Ulrich Peltzer, Matthias Politycki und Judith Schalansky geladen waren.

Sie alle räsonierten, argumentierten, zweifelten, behaupteten, widersprachen sich: Um am Ende festzustellen, dass sich in der Liebe - in der Literatur und grundsätzlich - nichts geändert hat. Einerseits. Andererseits, da war sich die Runde beinahe einig, ist die Liebe natürlich ein Gegenstand historischer Verwandlungen. Das merkt man schon daran, dass Roland Barthes' Buch "Fragmente einer Sprache der Liebe", das erstmals 1977 erschien und den Teilnehmern der Veranstaltung als Diskussionsgrundlage diente, in mancherlei Hinsicht überholt scheint.

In den amourösen Miniaturen, die vornehmlich die masochistische Seite zeigen (Liebe ist Leiden, immer schon!) und von der Eifersucht, der Szene und dem Kummer handeln, wird einmal das verzweifelte Warten des Liebenden vor dem Telefon geschildert. Heute wartet man auf die SMS, die nicht kommt.

Und man kann die Partnerwahl heute als "Schnäppchenjagd" betreiben, wie der Berliner Kritiker Richard Kämmerlings sagte: wenn man nämlich in den Partnerbörsen der perfekten Frau oder dem perfekten Mann hinterherjagt, aber bei jeder passenden Gelegenheit weiß, dass es bestimmt noch eine bessere gibt.

Das wäre eine Entzauberung der Liebe und der endgültige Abschied von der romantischen Liebe. Kämmerlings' Frage, wie denn wohl ein voll vernetzter Erzähler klingt, also einer, der twittert, bei Facebook ist und ständig mit der Welt kommuniziert, wurde nicht abschließend geklärt. Nur eines schien klar: Er tritt ganz bestimmt nicht auf wie Werther, wie Goethes Briefschreiber in dem Klassiker der Weltliteratur.

Ästhetische und formale Überlegungen blieben am Ende hinter den allgemeinen zurück. Die Befürchtung der Autoren Georg M. Oswald und Monika Rinck freilich, dass durch die verkürzte Aufmerksamkeitsspanne die Unduldsamkeit gegen das avancierte Kunstwerk und das schwer Verständliche an sich immer größer wird, ist nicht von der Hand zu weisen: Wer mit den Klicks im World Wide Web ständig (erfolgreiche) Impulse sucht, ist vielleicht irgendwann grundsätzlich von der monotonen Angelegenheit des Seitenumblätterns gelangweilt.

In der Liebe ist die Langeweile der Tod, das war bereits in den viktorianischen Liebesromanen so. Aber anders als heute gab es früher keine libertäre Gesellschaft, in dem auf die Langeweile der Partnerwechsel folgt. Und so verhält es sich schon seit einigen Jahrzehnten und nicht erst seit der neuesten technischen Revolution. "Die Gefühlsökonomie verändert sich nicht sonderlich durch die Technik", sagte der Wiener Schriftsteller Robert Schindel. Was zumindest insofern stimmt, als es auch vor den beschleunigten Liebesverabredungen in den sozialen Netzwerken notorische Fremdgeher oder sexuell aufgeschlossene Beziehungspartner gab. Ein Fazit der Tagung? Liebe ist wie stets ein Verkaufsargument für jeden Roman. Und allein deswegen schon wird sie in der Literatur überleben, auch wenn sie im wirklichen Leben manchmal gar nicht mehr so romantisch ist.