Die Kunsthalle würdigt die französisch-amerikanische Künstlerin Louise Bourgeois mit der Schau “Passage dangereux“ zu ihrem Spätwerk.

Hamburg. "Bei uns sind die Hingucker keine Hüpfburgen, sondern großartige Kunstwerke", meinte Kunsthallendirektor Hubertus Gaßner gestern mit einem leichten Seitenhieb auf die Deichtorhallen am anderen Ende der Kunstmeile, die im Sommer 2010 mit William Forsythes "White Bouncy Castle", einer 30 Meter langen und elf Meter hohen fantasievollen Hüpfburg, für Aufsehen gesorgt hatten.

"Maman" , die mehr als neun Meter hohe Riesenspinne aus Bronze, Stahl und Marmor der französisch-amerikanischen Künstlerin Louise Bourgeois, die schon seit dem 23. Januar zwischen dem Kunsthallen-Gründungsbau und der Galerie der Gegenwart die Blicke auf sich zieht, ist einerseits ein Blickfänger, zugleich aber Teil der Ausstellung, die von heute an im Hubertus-Wald-Forum zu sehen ist.

"Passage dangereux" heißt die Schau, mit der die Kunsthalle eine der eigenwilligsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts ehrt, die erst 2010 im Alter von 98 Jahren in New York gestorben ist. Nie zuvor war das Hubertus-Wald-Forum so dunkel zu erleben, alle Raumteiler sind verschwunden, und in der Mitte findet man eine große Konstruktion aus Drahtgitterwänden, die einen Raum umschließt, der mit merkwürdigen oder befremdlichen Dingen angefüllt ist. "Passage dangereux", dieses 1997 entstandene Kunstwerk, das der Ausstellung den Titel gab, erinnert ein wenig an eine Rauminstallation von Christian Boltanski, erweist sich aber als ein für den Betrachter unzugänglicher Raum, in den die Künstlerin Objekte angeordnet hat, die für ihre Biografie Bedeutung haben. "Es sind Objekte, die schon eine Geschichte hatten, bevor Bourgeois sie zur Kunst machte", sagt Ausstellungskuratorin Brigitte Kölle.

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+++ Kunst mit Spinne +++

Louise Bourgeois' Kunst lässt sich nur vor dem Hintergrund ihres außergewöhnlichen Lebens erschließen. "Der schöpferische Impuls für alle meine Arbeiten ist in meiner Kindheit zu suchen", sagte sie in einem Interview.

Geboren wurde sie 1911 in Paris als Kind eines Kunsthändlers und Textilunternehmers, der sich darauf spezialisiert hatte, historische Tapisserien aufzukaufen und in der eigenen Werkstatt restaurieren zu lassen. Diese wurde von der Mutter geleitet, die mit Fleiß und viel Geschick Gobelins und Bildteppiche zu ergänzen und zu restaurieren verstand. Schon als Kind arbeitete Louise mit, zeichnete Teppichmuster nach und entwarf Vorlagen für Fehlstellen, die ergänzt werden mussten. Erzogen wurde sie von einem englischen Kindermädchen, die im Elternhaus wohnte und jahrelang die Geliebte des Vaters war, was das Kind enorm belastete.

Die Installation der riesigen "Maman" vor der Kunsthalle – Hier im Video

Statt sich offen aufzulehnen, begann sie schon damals damit, künstlerisch zu reagieren: Während der Vater sie seelisch misshandelte, formte sie heimlich aus Weißbrotkrumen seine Figur, um ihr anschließend alle Gliedmaßen abzuschneiden.

Die Gespenster der Kindheit tauchen vielgestaltig in "Passage dangereux" auf. So erinnern die an der Decke hängenden Stühle an die antiquarischen Möbel, die der Vater von irgendwo mitgebracht hatte, um sie vor ihrer Restaurierung auf dem Dachboden zwischenzulagern.

"Ich bin eine Gefangene meiner Erinnerungen, und das Ziel ist, sie loszuwerden", hat Bourgeois einmal gesagt und hinzugefügt, dass sie sich nur von ihrer Vergangenheit befreien könne, wenn sie sie rekonstruieren, sie zur Skulptur machen würde.

Das tat sie zum Beispiel 1996 mit der aus Kleidung, Stahl, Knochen und Gummi bestehenden Skulptur, die an einen Baum erinnert. Die Kinderhemdchen, die hier über Knochen gehängt sind, hat die Künstlerin selbst getragen, es sind fast 100 Jahre alte Textilien.

Den Umgang mit Stoffen, das Zusammenfügen von zerrissenen Dingen und die Herstellung neuer Zusammenhänge hat Louise Bourgeois bei der geliebten Mutter gelernt und auf vielfältige Weise entwickelt und kultiviert. Die Stoffarbeiten, die die Ausstellung in mehreren Kabinetten zeigt, bilden abstrakte und manchmal auch geometrische Konstruktionen von großer Schönheit und zeugen von einer anderen, unbelasteten Vergewisserung der eigenen Geschichte.

Und hier spielt auch das Spinnenmotiv hinein, das schon 1947 in einer Zeichnung zum ersten Mal auftaucht. Auch mit neun Meter Höhe hat die Spinne, die als "Maman" weltberühmt wurde, für Bourgeois nichts Bedrohliches. Es ist vielmehr eine Hommage an die Mutter, an ihre konstruktive Kraft, mit der sie den Faden immer wieder aufnahm, um unermüdlich Dinge zusammenzufügen, zu restaurieren und zu heilen.

Die Ausstellung, die sich auf Werke aus den letzten 15 Lebensjahren von Louise Bourgeois beschränkt, zeigt die Polarität im Werk der Künstlerin, das sich auf Vater und Mutter, auf Destruktion und Konstruktion bezieht, um Erinnerung immer wieder in faszinierende Kunst zu verwandeln.

Louise Bourgeois. Passage dangereux Kunsthalle, bis 17.6., Di-So 10.00-18, Do bis 21.00