Max Frisinger erschafft Installationen aus Fundstücken. Der neue Shootingstar der Kunstszene stellt derzeit in London aus.

Hamburg. Es staubt. An allem haftet das hartnäckige weiße Pulver. Im Inneren der Hauptkirche St. Katharinen türmt sich die Erde. Ein Bagger verschnauft in der Ecke. Eine Bohrmaschine tastet sich in die Tiefe vor. Max Frisinger trägt ein seliges Lächeln im Gesicht. Sein grauer Mantel ist bereits über und über mit Staub bedeckt.

"Baustellen sind meine bevorzugten Orte", sagt er. Hier sammelt er, wie er es nennt, Dinge, die Leute nicht mehr brauchen, um skulpturale Probleme zu lösen, die nur er sich stellt. Auf langen Streifzügen, häufig des Nachts, nur mit Fahrrad und Anhänger unterwegs, findet er sein Material. Schon haftet sein Blick an den roten Stahlrohren hinter einem Gitter am Eingang der Kirche.

Weggeworfenes, Verbrauchtes, manchmal auch freiwillig Abgetretenes fasziniert ihn. Versetzt ihn in Schwingung. "Das ist schon eine Art von Parasitentum", sagt der Konzeptkünstler. Frisinger sammelt Rohre, Kabel, Bänder, Tische, Gartenstühle, Kinderwagenteile. Dinge, die die meisten von uns Abfall nennen würden. Diese Fundstücke dekonstruiert er zunächst und vernetzt sie neu mit einer erstaunlich zwingenden Bedeutung im Konzept eines Raumes. Er arrangiert das Chaos.

Eben noch trugen die Dinge Spuren urbanen Lebens, erzählten von sozialen Zusammenhängen. Und auf einmal ermöglichen sie dem Betrachter eine neue, tiefe Seherfahrung. "Ich möchte überfordern. Man soll sich das anschauen und überlegen: Was ist das? Eine Rutsche? Es ist ein ständiger Kampf, sich in einem Raum zu behaupten. Dabei ist er nicht mein Gegner, sondern mein Freund." Derzeit wird der gerade mal 31-jährige Hamburger mit dieser durchaus sperrigen Kunst, die wenig zur hübschen Wohnzimmerdeko taugt, als Shootingstar der Szene gehandelt.

Seine Arbeiten haben es aktuell bis in die berühmte Londoner Saatchi Gallery geschafft, in die Gruppenausstellung "Gesamtkunstwerk: New Art from Germany". Der für seine Spürnase bekannte Kunstsammler Charles Saatchi entdeckte Frisinger bei seiner ersten Einzelausstellung in der derzeit angesagtesten Galerie Berlins.

Zum Repertoire der Contemporary Fine Arts zählen auch Jonathan Meese oder der Ex-Hamburger Daniel Richter. Auf die Gruppenausstellung mit den etablierten Künstlern folgte die erste Einzelausstellung. Danach Messen in Paris, Miami, London. Zwölf riesige Schauvitrinen (246 x 272,5 cm) hat Frisinger für Berlin mit Assemblagen aus Alltäglichem befüllt. Das Ergebnis liegt irgendwo zwischen Trash und durchgestylter Collage. Die Werke tragen Titel von Songs weiblicher Popkünstler, die er während der Arbeit gehört hat, etwa "Noah's Ark (Coco Rosie) (Arche Noah, Coco Rosie, 2010)". Für fünfstellige Summen gingen sie in alle Welt von Basel bis nach Tokio. Ihr Schöpfer hat sie teilweise begleitet. "Ich muss sie vor und nach dem Transport sichern, und ich möchte auch wissen, wo sie stehen", sagt er. "Das sind doch meine Babys."

Nach Berlin empfohlen hatte ihn ein Professor der Hamburger Hochschule für bildende Künste, die Frisinger erst 2010 verließ. Ohne Abschluss. "Ich war sowieso meistens unterwegs." Erst mit 26 Jahren ist er hier eingetreten. Zu alt, um einen Professor blind zu idealisieren. Dafür alt genug, um genau zu wissen, was er erreichen will.

Die häufig undurchschaubaren Wege des Kunstmarktes jagen ihm keine Angst ein. "Natürlich beeinflusst man sich gegenseitig als Künstler und Galerist. Manchmal geht mir einer auf die Nerven, aber ich kann trotzdem gut mit ihm arbeiten, und dann geht da noch mehr Energie rein." 2008 hat er eine Ausschreibung gewonnen und den Chorraum von St. Katharinen mit der riesigen temporären Altarinstallation "Lumen Christie's" bedacht. Nach anfänglicher Skepsis hat er alle überzeugt. Erst den Pastor. Dann die Gemeindemitglieder. Und so läuft es bislang fast immer. In der Elbschloss-Residenz in Hamburg-Othmarschen hängt ein riesiges Wandbild. Die Bewohner überließen ihm Materialien. Vom persönlichen Erinnerungsfoto bis zu kaputten Plastiklöffeln. Gerade kommt er aus Bonn, wo er den mit 20 000 Euro dotierten ersten Start-Preis des Kunstmuseums Bonn erhalten hat und ein Treppenhaus mit einer Großskulptur bespielte.

"Ich fand, ich sah, ich siegte", antwortet Frisinger häufig, wenn man ihn nach seiner Arbeit befragt. Bei ihm verbindet sich Willensstärke mit Liebenswürdigkeit. Das hilft, Materialgeber und Galeristen einzunehmen. Er spricht Luft- und Raumfahrtunternehmen, Schulen und Freizeitparks an. Zu wissen, dass er gut ist, genügt ihm nicht. Er reizt Situationen und Orte aus. Die Dinge müssen immer in Bewegung bleiben. Nur nicht einstauben. "Ich mag Freifallsituationen", sagt er.

Als ihm die Hamburger Galeristin Katharina Bittel eine erste Chance gab und ihm ohne jeden kommerziellen Zwang einen Raum zur freien Verfügung überließ, sammelte er akribisch Material, sichtete, sortierte, lagerte. Doch sechs Wochen vor der Eröffnung verschwanden die Gegenstände über Nacht. "Ich hatte wenig Zeit, aber ich wusste, ich kriege das hin."

Man kann seine Arbeiten als Kommentar zu den Exzessen des Konsums lesen. Oder einen Hang zum Romantischen in ihnen finden. Deutlich sind seine Installationen vom Vanitas-Motiv durchzogen. Die Gegenstände erzählen von Fragilität, Hinfälligkeit, Omnipräsenz des Todes. "Die Arbeiten werden ja auch durch den Transport teilweise beschädigt oder es gehen Teile verloren", sagt Frisinger. Vor einem von ihm gestalteten Hintergrund platziert er reliefartige Szenen. Im Vordergrund dominieren skulpturale Formen. Er versuche stets, den Dingen keine Gewalt anzutun. "Ich frage immer danach, wo ist der Platz von diesem Teil."

Natürlich hätte Max Frisinger wie viele Studienkollegen einfach im Atelier in aller Stille ein paar hübsche Bilder malen können. Aber er sagt "Ich mache Kunst, damit die Leute sie sehen." Es könnte sein, dass man an ihm in der Kunst bald nicht mehr vorbeikommt.

Arbeiten von Max Frisinger bei Gesamtkunstwerk: New Art from Germany bis 30.4.2012, Saatchi Gallery, London, Duke of York's HQ/King's Road, London; www.saatchi-gallery.co.uk

(abendblatt.de)