Mit Sibel Kekilli in ihrer ersten “Tatort“-Hauptrolle als Sarah Brandt kommt Tempo in die betuliche Ermittlungsarbeit an der Kieler Förde.

Hamburg. Vor einem Jahr tauchte Sibel Kekilli schon einmal in einem Kieler "Tatort" auf: als Computerspezialistin Sarah Brandt, die im wahrsten Sinne des Wortes mit dem wortkargen Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) zusammenstößt - beim Autounfall mit Blechschaden. In "Borowski und eine Frage von reinem Geschmack" war sie allerdings nur in ein paar Szenen zu sehen. Und doch: Schon damals belebte Kekilli die etwas dröge und allzu pädagogische Folge - als patente junge Frau, die nicht nur Computer hacken, sondern auch Autos reparieren und kochen kann. In "Borowski und die Frau am Fenster" ist Kekilli als Polizeianwärterin nun zum zweiten Mal dabei.

Diesmal darf sie Seite an Seite mit Klaus "ich höre" Borowski den Fall einer verschwundenen jungen Frau aus Weißrussland untersuchen. Valeska (Karolina Lodyga) war die Geliebte eines Streifenpolizisten mit einem alles andere als guten Leumund: Hans Nielsson (Dirk Borchardt) gilt als jähzornig, eifersüchtig und gewalttätig. "Er ist ein Psycho", sagt seine Ex-Frau über ihn. Als er abends vom Dienst nach Hause kommt, ist Valeska verschwunden und mit ihr all ihre persönlichen Sachen. Nur ihre Zahnspange findet sich unter dem Fernseher. Nielsson ahnt ein Verbrechen und ruft die Kollegen von der Mordkommission an, doch schnell gerät er selbst unter Verdacht. Hat er die Frau verschwinden lassen, weil er herausgefunden hat, dass Valeska als Prostituierte für einen Escortservice gearbeitet hat? Kommissar Borowski tappt - anders als der Zuschauer - im Dunkeln. Denn die Tierärztin von nebenan hat Valeska betäubt und verschwinden lassen und beinahe das perfekte Verbrechen begangen.

Sibylle Canonica als Dr. Charlotte Delius ist die "Frau am Fenster", die diesem Tatort den Titel gibt. Mit der rothaarigen Schauspielerin, die von 1985 bis 2011 zum Ensemble des Münchner Theatermagiers Dieter Dorn gehörte, haben die NDR-Produzenten eine der herausragenden deutschen Theaterschauspielerinnen für eine zentrale Rolle gewinnen können. Canonica spielt die Tierärztin als elegante Femme fatale. Keiner ihrer arglosen Nachbarn ahnt, welch bösartige und gestörte Persönlichkeit hinter der Veterinärin steckt. Wie in Hitchcocks "Das Fenster zum Hof" spioniert sie mit einem Fernglas hinter Hans Nielsson her, den sie gerne in ihr Bett lotsen möchte. Und schreckt auch nicht vor einem Mord zurück, als sie merkt, dass der kernige Nachbar und Motorradfahrer mehr an jungen Frauen interessiert ist als an ihrer verblühenden Schönheit.

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Mit der Kommissar-Elevin Sibel Kekilli präsentiert dieser Kieler "Tatort" eine weitere außergewöhnliche Schauspielerin. Die Deutsch-Türkin, in Fatih Akins "Gegen die Wand" und in Feo Aladags "Die Fremde" mit Preisen überschüttet, zeigt sich als idealer Widerpart zum schroffen Borowski. Kekillis Sarah Brandt ist eine analytisch denkende Person, die es mit dem Gesetz nicht so genau nimmt ("Wir sind die Guten, oder?"), die Tempo in die betuliche Ermittlungsarbeit an der Förde bringt und mit ihrer Kodderschnauze dem Vorgesetzten in jeder Situation Paroli bietet. Merkwürdig nur, dass es in dieser Folge kein Wiedererkennen zwischen Borowski und Brandt gibt. Aber dieser Drehbuchfehler fällt nicht ins Gewicht: Mit Sibel Kekilli ist Maren Eggert als Borowskis frühere Partnerin Frieda Jung endgültig vergessen.

"Borowski und die Frau am Fenster" ist wieder ein typisch norddeutscher Tatort. Die meisten Szenen spielen nicht in der Fördestadt, sondern im dörflichen Milieu direkt am Nord-Ostsee-Kanal. Die Szenerie ist trist, die Menschen lakonisch, und einen Spökenkieker gibt es auch. Bauer Reens, ein auf einem heruntergekommenen Hof lebender Sonderling, murmelt immer wieder etwas von einer Hexe, die alle holen wird. Aber Nielsson, dem die düstere Prophezeiung gilt, tut das als dummes Gerede eines Dorftrottels ab. Auch ein paar eklige Szenen haben Regisseur Stephan Wagner und Drehbuchautor Sascha Arango eingebaut. Unter anderem zeigen sie, was mit einer Zecke passiert, die man in der Mikrowelle erhitzt.

Doch diesen äußerst gelungenen Kieler "Tatort" zeichnet auch eine gehörige Portion Humor aus: nicht nur in den Kabbeleien zwischen Borowski und Brandt, sondern auch in den Szenen, die in Borowskis Wohnung spielen. Dorthin hat sich nämlich sein Chef Roland Schladitz (Thomas Kügel) nach einer Ehekrise geflüchtet. Die Männer-WG auf Zeit erinnert an die Hollywood-Komödie "Ein seltsames Paar" mit Walter Matthau und Jack Lemmon. Schladitz kümmert sich um den tropfenden Wasserhahn, arretiert eine wacklige Lampe und verwöhnt seinen Kollegen mit der Finesse eines Sterne-Kochs. Als er dann eine Hundehütte für einen Pflegehund zimmert, wird es Borowski doch zu viel mit dieser Wohngemeinschaft.

Den nächsten "Tatort" mit Axel Milberg und Sibel Kekilli gibt es schon am 6. November. Er heißt "Borowski und der coole Hund" und basiert auf einer Vorlage des schwedischen Bestseller-Autors Henning Mankell. Darin geht es um einen toten Mann, der nach einem Kopfsprung in einen Badesee von vorsätzlich unter Wasser eingesteckten Bambusstäben aufgespießt wird. Vor der Fernsehausstrahlung wird dieser nächste Kieler Krimi auch im Programm des zurzeit laufenden Filmfestes Hamburg gezeigt. Dort ist die Folge an diesem Sonnabend um 21.15 Uhr im Cinemaxx 3 zu sehen.

"Tatort: Borowski und die Frau am Fenster" ARD, 2.10., 20.15 Uhr