Valentin Thurn über seine Dokumentation “Taste the Waste“, die globale Lebensmittelverschwendung anprangert

Hamburg. Im letzten Herbst erregte Valentin Thurn mit seiner ARD-Dokumentation "Frisch auf den Müll" viel Aufsehen, die zeigte, in welchen Mengen Lebensmittel vernichtet werden. Jetzt tischt er mit dem Kinofilm "Taste the Waste" erneut eine Anklage gegen dieses Verhalten auf.

Hamburger Abendblatt:

Wie sehr ist Ihnen beim Drehen das Ausmaß des Problems auf den Magen geschlagen?

Valentin Thurn:

Ich habe eher damit begonnen, das eigene Verbrauchsverhalten zu überdenken. Es lohnt sich tatsächlich. Finanziell definitiv, und auch moralisch. Wir sind mit schuld, dass an den Börsen die Getreidepreise steigen, wenn wir mehr nachfragen. Wenn es in Somalia Hunger gibt, verschärfen wir ihn dadurch; die Menschen dort können sich dann noch weniger leisten.

Wie stark wurden Sie von der Industrie bei der Arbeit behindert?

Thurn:

Supermärkte lassen sich nicht gern dabei filmen, wenn sie essbare Lebensmittel wegwerfen, das ist schlecht fürs Image. Manche sagen, sie geben das zur Tafel. Aber so viele Tafeln, wie sie wegwerfen, gibt es gar nicht. Ein Markt war besonders dreist: Als wir kamen, war die Tafel zum ersten Mal speziell für uns dorthin eingeladen worden. Bei einem Nachtdreh in Berlin, für den wir mit "Mülltauchern" unterwegs waren, sind wir bei einem Biogroßmarkt quasi verhaftet worden, weil die ja etwas Illegales tun und wir deswegen auch auf schwierigem Terrain waren. Wir kamen nur raus, weil wir zugesagt haben, den Namen des Unternehmens nicht zu nennen. Das hätten wir sowieso nicht getan, es wäre ungerecht gewesen. Weil das ja alle so machen.

Sie haben auch in Hamburg gedreht.

Thurn:

Wir waren bei einer Biogasanlage. Deren Chef kam schön ins Philosophieren, was denn in dieser Überflussgesellschaft so alles wahnsinnigerweise rausgehauen wird, obwohl es noch perfekt essbar wäre.

Er hatte kein schlechtes Gewissen?

Thurn:

So richtig toll fand er's nicht. Er sah es nicht als seine Verantwortlichkeit, schuld seien wir alle. Aber er macht wenigstens noch Energie aus dem Müll. Viel besser wäre natürlich, ihn schon an der Quelle zu vermeiden.

Die Gewinnmargen müssen fantastisch sein, wenn eine Branche etwa die Hälfte ihrer Erzeugnisse vernichten lassen und dennoch davon leben kann.

Thurn:

Man kann es auch anders ausdrücken: Was die wegwerfen, ist eh schon eingepreist, weil wir Verbraucher das mitzahlen. Und trotzdem werden Lebensmittel immer billiger. Der industrielle Erzeugungs- und Verteilungsprozess hat auch dafür gesorgt, dass Lebensmittel entwertet werden. Nicht mehr 100, sondern nur noch 50 Joghurt-Sorten, nicht mehr 30, sondern nur noch 15 Brotsorten gegen Abend, um das Klima zu schonen - ich glaube, der Kunde würde das mitmachen.

Nur ein nicht mehr übervoller Supermarkt ist ein guter Supermarkt?

Thurn:

Wir müssen ja nicht zurück zu den Zeiten der leeren HO-Regale in der DDR. Dass der Kunde zur Konkurrenz abwandert, ist für Händler schlimmer, als Warenwerte zu vernichten. Aber es bleibt uns nicht mehr viel Zeit: Die Erdbevölkerung wächst, immer mehr Schwellenländer wollen Fleisch. Zeiten, in denen Lebensmittel immer billiger werden, sind irgendwann vorbei.

Hat die Politik schon reagiert?

Thurn:

Es gab sehr schnelle Resonanz. Fünf Tage nach der Ausstrahlung von "Frisch auf den Müll" meldete sich das NRW-Verbraucherministerium und fünf Wochen später die eigentlich zuständige Bundesministerin Ilse Aigner. Jetzt ist eine Studie in Arbeit, um Zahlenmaterial zu erstellen. Andere Länder sind schon viel weiter: In England gibt es keine große Supermarktkette ohne eigene Müllvermeidungskampagne.

Bei den Angestellten, die täglich Essen vernichten, sieht man eine Mischung aus Frust und schlechtem Gewissen.

Thurn:

Nach unserem ersten Film haben sich auch viele Profis - Köche und Supermarktchefs - gemeldet, denen es genauso geht. Sie müssen täglich wegwerfen, aber sie hassen es.

"Taste the Waste" ab 8. September im Kino. Das Buch zum Thema: Stefan Kreutzberger / Valentin Thurn "Die Essensvernichter" (KiWi, 16,99 Euro).