Karin Beier könnte die Intendanz am Deutschen Schauspielhaus übernehmen. Derzeit ist die Regisseurin Chefin des Schauspiels Köln.

Hamburg. Eigentlich sollte vertraulich bleiben, was die Kulturbehörde seit ein paar Wochen mit Karin Beier verhandelt hat, der Intendantin des Schauspiels Köln. Dass sie nämlich die beste Kandidatin für die Nachfolge auf dem Intendantenposten am Deutschen Schauspielhaus wäre und man sie deshalb gerne auch dafür gewinnen würde. Doch dann hat Bürgermeister Christoph Ahlhaus am Montagabend im Presseclub zu laut und stolz geplaudert. "Wir haben eine neue Intendanz", hat er verkündet. Hätte er "Intendantin" gesagt, hätten alle gewusst, dass es Karin Beier ist. Als zweiter Kandidat war ja Matthias Lilienthal im Gespräch, künstlerischer Leiter und Geschäftsführer des Hebbel am Ufer in Berlin, der seinen Vertrag über 2012 dort nicht verlängert. So aber ergänzte der Bürgermeister, dass man "die neue Intendanz" noch vor der Wahl präsentieren wolle.

Schau'n mer mal, ob das auch glattgeht. Schließlich tagt am kommenden Montag erst der Aufsichtsrat des Schauspielhauses, und der muss immerhin dem Kultursenator den Auftrag erteilen, mit Beier oder einem anderen Kandidaten in Vertragsverhandlungen einzutreten. Gewiss könnte man nun darüber streiten, ob so kurz vor einer Wahl eine derart wichtige Entscheidung noch vom derzeit amtierenden Kultursenator getroffen werden sollte. Ja, das sollte sie. Denn das Schauspielhaus muss so schnell wie möglich stabilisiert werden. Und an Karin Beier käme auch ein neuer Kultursenator nicht vorbei. Sie ist die Beste für den Posten, für das Theater, das in den vergangenen 40 Jahren zwölf Intendanten hatte und viele davon verschlissen hat. Dieses Theater ist nicht leicht zu leiten, muss sich neu sortieren und braucht wieder neue Investitionen.

Karin Beier, die Ende der 90er-Jahre am Schauspielhaus inszeniert hat ("Yvonne, die Burgunderprinzessin", "Was ihr wollt" oder Werner Schwabs "Eskalation ordinär"), hat die Kraft, mit diesem großen Tanker umzugehen. 2010 wurde das Schauspiel Köln zum "Theater des Jahres" gewählt. Erfolgreich wehrte sie sich auch gegen dessen Abriss und Neubau. Sie wurde zur Galionsfigur im Kampf für die Sanierung der denkmalgeschützten Architektur.

Die 45-Jährige hat als Regisseurin alle großen Theaterpreise bekommen, die vergeben werden. In Österreich bekam sie den Nestroy-Theaterpreis, in Deutschland den Faust-Theaterpreis, ihre Inszenierungen waren beim Berliner Theatertreffen zu Gast.

Bereits mit 21 Jahren gründete Beier mit dem Regisseur Elmar Goerden die Theatergruppe Countercheck Quarrelsome (CCQ), mit der sie neun radikale Shakespeare-Inszenierungen in englischer Sprache herausbrachte. Die Aufführungen finden in Fabriken oder Messen statt. Shakespeare ist der Autor, mit dem sie sich immer wieder beschäftigt. Vielleicht muss das so sein, wenn man in der Jeckenhauptstadt Köln aufwächst, mit einer Britin als Mutter, und seine erste professionelle Theaterbegegnung als Assistentin bei einem englischen Jugendtheater macht mit dem "Sommernachtstraum", dem verwandlungsfreudigen, alle weltlichen Gesetze aushebelnden Shakespeare-Drama. Seitdem animiert dieser Autor Karin Beier immer wieder, alles auszuloten und auszukosten, was das Theater an spielerischem Potenzial bietet.

Ganz groß fällt Karin Beier 1995 auf, als sie mit 14 Schauspielern aus neun Ländern einen "Sommernachtstraum" inszeniert, der die ganze Bandbreite des Theaters von der Commedia dell'Arte bis zum Brecht-Theater abschreitet. Sie gastiert mit diesem verwirrend schönen Abend auf vielen internationalen Festivals. Sie inszeniert in Hannover, Bonn, Bochum, München und in Zürich und ist am Wiener Burgtheater Hausregisseurin.

Ab 1997 übernimmt sie auch Operninszenierungen in Bremen, Köln, Basel und an der Wiener Staatsoper. Immer schon ist Beier viel durch die Welt gereist, hat in Indien in einem Kinderheim gearbeitet und zuletzt erklärt, sie könne ebenso gut mit einer freien Gruppe arbeiten wie am subventionierten Staatstheater. Ungezwungen, ausgelassen und unerschrocken sind ihre Arbeiten. Die Bühne nutzt sie oft als großen Spielraum für ein Bühnenspektakel. In den letzten Jahren hat sie sich auch in gesellschaftskritischen Stücken vergraben. Grillparzers "Goldenes Vlies" zeigt sie 2008 in Köln als Trilogie des Fremdseins. In ihrer Filmadaption "Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen" machte sie die Zuschauer zu Voyeuren einer Unterschichtwelt. Komisch kann sie auch - und holt aus Komödien à la "Schöne Bescherungen" oder "Der Gott des Gemetzels" in Köln einiges an archaischer Lust.

Karin Beier will viel vom Theater. Das ist gut so. Das Theater muss sich heute mehr denn je behaupten. Das geht nur mit Kreativität und dem unbedingten Willen dazu, dass im Theater alles verhandelt wird, was auf der Welt und im Leben wichtig ist. Davon haben wir im Schauspielhaus zuletzt nicht allzu viel gesehen. Es wäre schön, wenn wir das demnächst wieder könnten. "Dass Schauspieler sich mit Haut und Haar einem Theater verschreiben, das gibt es fast nicht mehr", hat Karin Beier unlängst gesagt. Die Intendantin spricht da auch für sich selbst.