Striptease, Tabledance und Burlesque-Shows bereichern seit vielen Jahrzehnten die Kiez-Kultur. Aber welche Rolle spielt die Musik dabei?

Hamburg. "Low Down Man", ein wunderschönes, 1998 von den Squirrel Nut Zippers aufgenommenes Stück Swing-Pop, ist schon beim ersten Hören ein toller Song. Trotzdem können wir uns kaum auf ihn konzentrieren. Während Squirrel-Sängerin Katharine Whalen vom Liebeskummer erzählt, dreht sich auf der Bühne in Deutschlands erster Burlesque-Bar Queen Calavera in der Gerhardstraße eine Dame langsam im Kreis. Bei jeder Umdrehung wickelt sie einen weiteren Meter glitzernden Paillettenstoff von ihrem Körper ab, bis ... nun, ja:. "Ein hübsches kleines Nichts, was Sie da beinahe anhaben", würde James Bond zu der Dame sagen, die auf den geheimnisvollen Namen Koko La Douce hört. Wir sehen gebannt zu, dabei sind wir eigentlich nur wegen der Musik gekommen.

Von der biblischen Salome bis zu den Revue-Tänzerinnen im Berlin der Goldenen Zwanziger reicht die Vorgeschichte des "erotischen Schönheitstanzes", der ab den 50er-Jahren unter dem Begriff "Striptease" Männer in Wallung brachte. Und Hamburgs Kiez ist auch in Zeiten, in denen nicht jugendfreie Unterhaltung online nur einen Mausklick entfernt ist, ganz vorne beim realen Entblättern dabei. Susis Showbar, Pearls und Dollhouse sind überregional bekannte Marken für klassischen Striptease und Tabledance.

Musik spielt in der Burlesque-Show eine zentrale Rolle

Und seit zwei Jahren erweckt das Queen Calavera in Hamburg die Burlesque wieder zum Leben. Die von den Pariser Varietétheatern inspirierte Unterhaltungsform im Amerika des späten 19. Jahrhunderts verbindet auf frivol-glamouröse Weise Tanz, Zirkus-Artistik und Komödie. Ihren Höhepunkt erreicht diese Kunst, wenn auch ohne viel nackte Haut die Fantasie angeregt wird.

"Die Musik spielt daher in der Burlesque eine zentrale Rolle", betont auch Queen-Calavera-Betreiberin Claudia Gritl, "die Lieder erzählen die kleinen Geschichten mit, die die Damen aufführen." Die Musikauswahl erstreckt sich dabei von Swing und Jazz der 20er- bis 40er-Jahre über Rock 'n' Roll und Rockabilly der 50er bis zu thematisch passendem Retro-Pop, und auch das nicht ohne Grund: "Im Gegensatz zur Pop-Musik von heute waren diese Sounds ihrerzeit genauso verrucht und geächtet wie erotischer Tanz. Und diesen rebellischen Charakter spürt man bis heute", sagt Gritl und erinnert an die Hamburger Swingjugend-Bewegung, die während der Nazi-Zeit wilde Geheimpartys zu den Liedern der "Feindsender" feierte.

So ist eine gute Burlesque-Show auch nichts ohne einen guten DJ. "Ich kenne mich nicht so gut mit Musik aus", gibt Koko La Douce zu, "daher spreche ich bei der Planung neuer Vorstellungen mit dem DJ darüber, was ich vorhabe, und suche mit ihm zusammen passende Songs aus." Dafür braucht es ein hohes Maß an Intuition, damit ein Song auch während der Show wirkt - nicht einfach angesichts der attraktiven optischen Ablenkungen von mühevoll toupierten Haarkunstwerken bis zu lustig hüpfenden Quasten.

"Ich muss mich auch immer noch zusammenreißen, um die Einsätze nicht zu verpassen", sagt Calavera-DJ Swingy The Kid, während er mit seinen wild tätowierten Armen mit alten Vinyl-Singles jongliert. Zur Einleitung jeder Darbietung wird der Auszieh-Klassiker von 1958, die David-Rose-Komposition "The Stripper", eingespielt, die dann in das jeweilige Showlied übergeht. "Da kann immer passieren, dass eine CD hakt oder eine Platte springt, da heißt es zu improvisieren und die Panne zum Teil der Show zu machen." Burlesque ist auch immer Bruch mit der Perfektion, ein ironisches Spiel mit Konventionen. "Burlesque ist auch ein Rückschritt zum verborgenen Begehren als Antwort auf unsere übersexualisierte Gesellschaft", gibt uns Claudia Gritl noch mit auf den Weg, "und glaubt mir, die meisten Gäste kommen auch wegen der Musik."

Wann ist Musik unabhängig von Text und Darbietung erotisch?

Der freundliche Calavera-Türsteher reicht die Hand zum Abschied und wir denken an die Frage, die wir auch Hans-Jürgen Osmers, Arrangeur, Produzent und Dozent für Musiktheorie an der Hamburger Stage School, gestellt haben: Wann ist Musik unabhängig von Text und Darbietung erotisch? "Wenn sie laid-back gespielt wird", so Osmers, "sprich, wenn zum Beispiel der Sänger lässig etwas neben dem Takt singt. Dadurch entsteht beim Hörer eine anregende Spannung." Gute Beispiele seien die Soul- und Funk-Stars der 60er- und 70er-Jahre. Bobby Womack ("Woman's Gotta Have It"), Isaac Hayes ("Shaft") - heißes Zeug für die Ewigkeit.

Wir ziehen weiter auf die andere Seite der Reeperbahn ins Dollhouse, Hamburgs populärstes Etablissement für hautnahe Tanzunterhaltung. Der kräftige Schulterklaps des auch hier gut aufgelegten Türstehers befördert uns in eine sexualisierte Gesellschaft. Während die Damen im Queen Calavera nur halbstündlich für einen Song auf die Bühne gehen und der Rest der Zeit dem DJ und der Tanzfläche gehört, ist es im Dollhouse schwer, den Überblick zu behalten: Zu mächtig wummernden House-Beats - nicht gerade laid-back - bewegen sich in Gogo-Käfigen, auf den Tischen der Sitzgruppen und auf einer Drehbühne inklusive Motorrad ungezählte, perfekt geformte Tänzerinnen. Fast entgeht uns, dass sich hier auch gut gebaute Männer frei machen.

Wenn uns jemand sagen kann, ob die Musik auch im Dollhouse eine Rolle spielt, dann ist das Sabrina Pankow, die Trainerin und Mentorin des Ensembles und eine echte Meisterin der Pole Art, der artistischen Körperkunst an der Stange. 2001 hat sie begonnen, im Dollhouse aufzutreten, und dabei ihre freizügige Kunst so weit perfektioniert, dass sie 2005 zur Pole-Dance-Weltmeisterschaft in Amsterdam eingeladen wurde. Seitdem sieht sie erotischen Tanz vor allem unter dem sportlichen (und bekleideten) Aspekt.

Der tollste Körper hilft einem nicht, wenn man nur neben dem Takt tanzt

"Gespür für die Musik ist beim Pole- oder Tabledance neben Disziplin, Eleganz und Ausdauer unverzichtbar", verdeutlicht Pankow, "auch der tollste Körper hilft einem nicht, wenn man nur neben dem Takt tanzt." Bis zu drei Shows am Abend sind choreografiert, die Musik vorab von den Tänzerinnen ausgesucht - sogar Auszüge aus dem Musical "Arielle, die Meerjungfrau" (!) sind möglich. Den Rest der Nacht aber geben die DJs den Ton an, die sich wiederum am Publikum orientieren. Darauf müssen sich die Tänzerinnen laut Pankow einstellen. "Wenn viele Junggesellenabschiede zu Gast sind, werden eher aktuelle Charts und Partyhits aufgelegt, an anderen Abenden House oder Rock-Klassiker." Tabledance-Herausforderungen zwischen "Das geht ab" von den Atzen, Joe Cockers "You Can Leave Your Hat On" und Pankows Lieblingssong "The Jack" von AC/DC müssen gleichermaßen überzeugend wirken, damit das Publikum den Hut zieht.

Ist die Musik tatsächlich so wichtig? "Aber sicher. Nach einer Stunde hat der Gast alle Mädchen gesehen und genießt unabhängig von den Tänzerinnen ganz klassisch die Klub-Atmosphäre, die Musik und einen Drink. Dafür spricht auch, dass bis zu 60 Prozent unserer Gäste Frauen sind." So sollen viele Stammgäste ihre Besuche auch danach ausrichten, welcher DJ auf dem Programm steht.

Ein paar Seitenblicke noch, dann geht es mit bemerkenswerten musikalischen Eindrücken auf den Heimweg. Und mit kleinen Glitzerpartikeln am Jackenärmel, der von Koko La Douces Lipgloss stammen muss. Wie auch immer der dahin gekommen ist.

Queen Calavera geöffnet Do-Sa ab 21.00, Gerhardstraße 7, Mindestverzehr 7,-; www.queencalavera.de

Dollhouse geöffnet täglich ab 21.00, Große Freiheit 11, Eintritt 12,-; www.dollhouse.de