Katrin Zagrosek, Intendantin der Niedersächsischen Musiktage, hat das diesjährige Festivalprogramm unter das Motto „Glück“ gestellt. Das Abendblatt traf die Intendantin in Lüneburg.

Hamburg. Bis 2012 war Katrin Zagrosek, 38, für das Programm der Hamburger Ostertöne verantwortlich, dann wechselte sie als Intendantin zu den Niedersächsischen Musiktagen, die von der Niedersächsischen Sparkassenstiftung zusammen mit den Sparkassen des Landes veranstaltet werden. Als Motto für die diesjährigen Musiktage vom 6.September bis zum 5. Oktober hat Zagrosek „Glück“ gewählt. Das Abendblatt traf die Intendantin in Lüneburg und sprach mit ihr über ihre Glücksmomente, thematische Stränge ihres Festivals und Musikvermittlung und was es mit einer Planwagenfahrt auf sich hat.

Hamburger Abendblatt: Was bedeutet für Sie persönlich Glück?
Katrin Zagrosek: Ganz allgemein beschrieben ist das ein freier Zustand, in dem ich Raum und Zeit für persönliche Entfaltung finde und den ich gern mit guten Freunden teile. Aber ich kenne auch dieses momenthafte, euphorische Glücksgefühl, zum Beispiel, wenn etwas richtig gut gelingt, wie das Eröffnungswochenende der Musiktage im vergangenen Jahr in Lüneburg. Wenn es richtig flutscht und die Konzerte durch das Team zum Fliegen gebracht werden.

Kennen Sie diese Glücksgefühle auch bei Konzerten, die Sie erlebt haben, wenn Musik plötzlich etwas Magisches bekommt?
Zagrosek: Ja, sicher. Ein besonderes Erlebnis war für mich persönlich Helmut Lachenmanns Oper „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ 1997 an der Staatsoper in Hamburg. Ich habe damals in Lüneburg studiert und die Aufführung dreimal innerhalb einer Woche gehört. Anschließend bin ich mit dem letzten, komplett leeren Zug zurückgefahren und habe erstmals die Erfahrung gemacht, dass auch Neue Musik in mir nachklingt. Ein gänzlich anderes Beispiel ist eine Aufführung bei den Salzburger Festspielen 2010 von „Don Giovanni“ mit dem kanadischen Dirigenten Yannick Nézet-Séguin und Sängern wie Anna Prohaska, Christopher Maltman, Erwin Schrott als Leporello. Da kamen Spielfreude auf der Bühne, sängerische Exzellenz und eine großartige Orchesterleistung zusammen. Da kann man Mozarts Musik noch so gut kennen, diese Aufführung war so aufregend, dass ich sie noch über Wochen im Ohr und im Gedächtnis behalten habe. Das waren Sternstunden.

Die Niedersächsischen Musiktage stehen in diesem Jahr unter dem Motto „Glück“, in den Jahren zuvor haben Sie „Freiheit“ und „Freundschaft“ als übergeordnete Begriffe gewählt.
Zagrosek: Wir suchen uns bewusst große Begriffe aus, weil wir ein großes Land bespielen und ein breites musikalisches Spektrum bieten. Jazz, World, Klassik als Schwerpunkt, aber auch Folk und anspruchsvoller Pop gehören dazu. Ausgehend vom Festivalthema und der spezifischen Musikauswahl können wir mit unseren etwa 60 bis 70 Konzerten viele unterschiedliche Geschichten über das Glück, die Freiheit, die Freundschaft erzählen. Der Entscheidung, mit einem Festivalthema zu arbeiten, liegt also durchaus auch ein Vermittlungsansatz zugrunde. Auf der anderen Seite dient es als „gedankliches Sprungbrett“: Ich habe den Eindruck, dass die Konzerte umso interessanter werden, je strenger ich gedanklich bei dem Thema bleibe.

Unter dem Thema Glücksmusik spielt zum Beispiel das Württembergische Kammerorchester Heilbronn Mozart-Sinfonien und -Serenaden und die Serenade E-Dur von Antonín Dvorak. Was zeichnet die Werke als Glücksmusik aus?
Zagrosek: Der Begriff Serenade leitet sich aus dem Italienischen ab und bedeutet heiter, ungetrübt, wolkenloser Himmel. Es ist schlicht heitere Musik, die Freude macht. Dieses Musik-programm, gespielt auf einem ländlichen Gut mit paradiesischer Parkanlage, soll das Glück einer lauen, wohlklingenden und -duftenden Sommernacht hervorrufen. Die 60 Konzerte sind kein Füllhorn mit Glücksüberschriften, sie sind vielmehr in klare thematische Stränge gegliedert: zum Beispiel „Die Suche nach dem Glück“. Mit verlorenem Glück und Suche nach Glück beschäftigen sich Lieder von Gustav Mahler oder „Die Winterreise“ von Franz Schubert.

Es gibt also auch die andere Seite von Glück, Melancholie, Trauer, Pech.
Zagrosek: Ein Begriff wird durch seine Negation erst richtig stark. So haben wir im vergangenen Jahr mit Auszügen aus der „Götterdämmerung“ begonnen, die eine Welt zeichnet, in der echte Freundschaft nicht möglich ist. Für „Freiheit“ vor zwei Jahren haben wir am ehemaligen deutsch-deutschen Grenzübergang in Duderstadt-Teistungen eröffnet und später im Festival einen ganzen Nachmittag in der Gedenkstätte des KZ Esterwegen im Emsland verbracht.

Wie läuft die Recherche für so ein Programm?
Zagrosek: Es gibt Werke, die mir sofort in den Sinn kommen, wie „Die Winterreise“ zum Thema „Glück“. Neben meinen Überlegungen zur Musik befasse ich mich mit anderen Aspekten des Themas – historischen, philosophischen, biografischen. Anregungen entstehen auch durch das Gespräch mit Künstlern, Kollegen und im Team.

Ausgangspunkt ist also immer das Werk und nicht der Interpret?
Zagrosek: Bei der Klassik ist es eher das Werk, beim Jazz eher der Künstler. In diesem Jahr haben wir zum Beispiel den französischen Trompeter Erik Truffaz mit seinem formidablen Quartett und der Sängerin Anna Aaron dabei. Er wird zwar auch etwas Neues zum Thema Glück komponieren und sicher auch eine Kleinigkeit dazu sagen. Doch bei Musik entsteht das Glück dann auch einfach mal im Kopf des Zuhörers – es lässt sich nicht immer restlos herunterbuchstabieren.

Sie haben von thematischen Strängen gesprochen. Welche gibt es noch im diesjährigen Programm?
Zagrosek: Wir suchen in diesem Jahr besonders häufig das Glück in der Natur. Wir begegnen zum Beispiel in der Lüneburger Heide einem Schäfer mit seinen Heidschnucken und befragen ihn zu seinem „Schäferglück“. Anschließend hören wir in einer Kirche Musik mit Oboe, die historisch von der Schalmei, dem Hirteninstrument, stammt.

Wie genau wird dieses Projekt ablaufen?
Zagrosek: Wir gehen zu dem Schäfer in die Heide nach Amelinghausen, wo er mit seinen 400 Heidschnucken lebt. Eine kleine, tragbare Box wird das Gespräch verstärken und für die 150 bis 200 Besucher hörbar machen. Es geht in diesem Teil der Veranstaltung darum, Gedanken zum Thema auszutauschen und die Natur zu genießen. Anschließend spazieren wir eineinhalb Kilometer durch die verblühende Heide und erst dann gibt es in einer Kirche Musik in einem angemessenen Rahmen zu hören. Es geht uns dabei nicht um ein Event, in dem die Musik zur Dekoration wird, die fünf Bläser werden wir nicht zu den Schafen stellen und sie fröhlich Freiluft spielen lassen. Sie gehören in einen anderen Raum, der dem musikalischen Kunstwerk einen angemessenen Rahmen gibt.

Festivals werben damit, große Events mit spektakulären Namen und Orten zu kreieren ...
Zagrosek: Ich würde das Wort „Event“ ins Deutsche zurückübersetzen: Das Konzert als Erlebnis, als Musik- und Hörerlebnis ebenso wie als soziales Ereignis. Die Zuhörer kommen zum Wandelkonzert vielleicht zunächst, weil die Heide oder der Zoo oder das Bergwerk als Ort reizt. Doch sie gehen und haben Musik gehört, für die sie sich, angeboten im lokalen Kammermusiksaal, vielleicht nie entschieden hätten. Darüber hinaus haben sie, etwa über einen eingebauten Vortrag oder Film oder etwas Kulinarisches, noch ein Mehr an Erkenntnis mitgenommen.

Auch eine Planwagenfahrt findet sich im Programm.
Zagrosek: Der Ausgangspunkt hierfür war der Satz: „Das Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde“. Von Bispingen aus fahren wir mit dem Planwagen nach Wilsede. Dafür habe ich mich des Bluegrass besonnen. Uns werden drei Musiker um den norwegischen Jazz-Akkordeonisten und Banjospieler Stian Carstensen begleiten. Erst gibt es die Wagenfahrt und das Pferde- und Heideerlebnis, dann das Konzert in einem Heimathaus.

Wie finden Sie die ungewöhnlichen Orte?
Zagrosek: Da sind die niedersächsischen Sparkassen und ihre Vorstände ein großartiger Partner. Sie kennen ihr Geschäftsgebiet genauestens, machen Vorschläge, geben Tipps und sind für viele Vorhaben offen.

Infos und Karten unter www.musiktage.de