Betrug, Raubkunst, Fälschung, Korruption: Nie war der Ruf des Kunstbetriebs so schlecht wie heute. Schon machen sich die ersten aus dem Staub. Wir bleiben. Eine Kampfschrift gegen das Misstrauen.

Schlechte Nachrichten. Und es werden immer mehr. Geschiebe, Gemauschel, Spekulation, wohin das trübe Auge schaut. Die heitere Kunst, Unterhaltungsgegenstand und Bildungsgut in einem, immer neu gewonnen aus den Überschüssen bürgerlicher Kultur, scheint vollends verraten an Kommerz und Korruption. Kuratoren, Sammler, Kunsthändler, Agenten, Gutachter, Großkünstler, Museumsleute – verschworen, so liest man, zu Lug und Trug. Schwindler allesamt, predigten Wasser und berauschten sich am teuren Wein. In der Zwischenzeit traut fast keiner mehr dem anderen über den Weg.

Das System sei so was von abgefuckt, hat der Berliner Star-Galerist Bruno Brunnet im „Monopol“-Interview gesagt und hat das auch nach dem Gegenlesen so stehen lassen.

Ist das neu? War es nicht immer so? Vielleicht war es nicht immer so. Vielleicht hat man noch bis vor gar nicht allzu langer Zeit zwischen klar erkennbaren Geschäftshäusern und einer notorisch unterfinanzierten und nur mit Leidenschaft und Engagement bewirtschafteten Off- und Indie-Szene unterscheiden können. Inzwischen geraten die Fronten durcheinander, und die Anlageberater werden überall fündig. Sammelt man die Nachrichten, dann nimmt der Kunstbetrieb immer mehr die Gestalt einer monströsen Gelddruckmaschine an, bei der alle irgendwo an einem Hebel oder Knöpfchen sitzen.

Kunstberater Helge Achenbach sitzt seit Wochen in U-Haft

Da hört man und liest mit Staunen und Bestürzung, wie der Kunst-Impresario Helge Achenbach, ein Taktiker von Gnaden in der rheinischen Kunstszene, Sammler, Agent, Berater und bis dato honoriger Geschäftsfreund eines illustren deutschen Geldadels, am Flugplatz verhaftet wird und sich gegen massive Betrugsvorwürfe wehren muss. Ist auf nichts und niemanden mehr Verlass?

Kann man frei, unabhängig kuratieren, wenn man als Kurator mit Rang und Namen sechsstellige Summen einstreicht, wie das italienische „Giornale dell’Arte“ gerade aufgelistet hat? Stimmt es, was die FAZ am Beispiel der parallel zur Basler Kunstmesse veranstalteten Ausstellungen zu zeigen versucht hat, dass genau besehen überall der Verdacht besteht, die respektablen Ereignisse seien alle aus allzu enger Verbindung zwischen Markt, Sammlern und öffentlichen Kunsthäusern entstanden?

Selbst der sonst schweigsame Gerhard Richter, der 82-jährige Senior der deutschen Großkunst, hat unlängst ein Machtwort gewagt und die Unsummen geschmäht, die bei Auktionen für seine Bilder ausgegeben werden.

Vor lauter Skandalen werden Kunst und Künstler vergessen

Systemkritik, selten war sie so fundamental. Sammler-Allüren, Museums-Willfährigkeit, Experten-Bestechlichkeit, grenzenlose Marktmacht, störrische Raubkunst-Bewahrer, Versäumnisse in der Provenienz-Forschung – die Bilanz scheint so deprimierend, dass kaum noch Hoffnung besteht, und der unverbesserliche Kunstfreund sich vorkommt wie Voltaires tumber Candide, der einfach nicht davon lassen kann, an die beste aller Welten zu glauben.

Längst hat das Skandaldesign vergessen lassen, dass Kunst nicht nur gedealt und hin- und hergeschoben wird, dass sie immer neu entsteht, geboren aus Affekten und Visionen, Gedanken und Träumen, dass es die Bilder sind, in denen sich die Zeit spiegelt, in denen sie sich erkennt und entwirft. Vergessen, dass es fast vergessene Gründe geben könnte, von Kunst und Künstlern zu erzählen.

Erzählt wird stattdessen von der großen Sause, die immer ausgelassener wird. Erzählt wird von der aufgedrehten Kybernetik eines globalisierten Kunstbetriebs, der ungleich besser denn je versteht, wie man Aufmerksamkeiten bewirtschaftet, wie man Werte und Mehrwerte schafft, wie man die Kurslinien der emittierten Aktien steil hält und von den Frontleuten auf der Bühne bis zu den Zuschauern auf den Stehplätzen alle in die Verantwortung für die Selbsterhaltung des Spektakels nimmt. Neu ist der Argwohn, dass am großen Geschäft womöglich alle beteiligt sind – willentlich oder unwillentlich, in der Zentrale oder auf den hinteren Rängen, dass es keine Nichtzulieferer mehr, keine Mitspieler ohne Systemverantwortung gibt.

Grenzen des Anstands, Grenzen der Zuständigkeit

Man hat ja doch immer noch unterscheiden wollen: den ehrbaren Museumsmann von der Chefberaterin des Kunst hortenden Oligarchen, den Händler vom Galeristen, den Blockbuster-Regisseur von der Kunstvereinsdirektorin ohne Budget, den Malerfürsten vom schüchternen Atelierarbeiter. Irgendwie, irgendwo gab es Grenzen – des Anstands, der Aufrichtigkeit, der Kompetenz, der Zuständigkeit, widerständige Interessen , unversöhnliche Standpunkte. Alles aufgeweicht inzwischen. „Abgefucktes System“ meint ja nichts anderes, als dass alle wie bei der Polonaise durch die Kunstbeize hopsen.

Nur die Kritiker und Kritikerinnen scheinen als moralische Respektspersonen übrig geblieben zu sein, haben sich mehr und mehr in die investigative Rolle gefunden und machen dabei wie immer gute Figur. Natürlich sitzt man auf der sicheren, also richtigen Seite, wenn man der feuilletonistischen Empörung dann und wann Zunder gibt. Und Spaß macht es ja doch auch, den gerade noch Mächtigen in Anstaltskleidung zu begegnen.

Es zuckt einem schon in den Händen, wenn man noch einmal das rötliche Softcover durchblättert, auf dessen Titel sich der Art Consultant Helge Achenbach wie ein Pate hat porträtieren lassen. Man hatte das Buch schleunigst weggeräumt, und dann hieß es, der „Kunstanstifter“ säße in Untersuchungshaft. „Millionenbetrug“. Und nun fragt man sich bang, ob mit dem ehrenwerten Herrn Achenbach auch der ehrenwerte Hatje Cantz Verlag seine Unschuld verloren hat, wenn er mit dem gefallenen Helden Geschäfte macht und ihn im rötlichen Softcover vom Kunstverkehr mit den Reichen und Schönen plaudern lässt.

Wer glaubt noch an das Gute und Wahre im Schönen?

Wenn es je eines Beweises bedurft hätte, dass Kunst und Moral sich nie wirklich gedeihlich vermengen, dann wird man davon täglich neu überzeugt. Und man kann gut verstehen, dass sich nicht wenige abwenden, dass sie genug haben vom inzüchtigen Vergnügen, aus nichts immer mehr zu machen. Aber man darf auch sagen, dass das vermittelte Bild nicht zureichend ist. Und entschieden sei dem Eindruck widersprochen, es bleibe dem enttäuschten Kunstfreund nur der Rückzug.

Enttäuscht kann doch nur sein, wer tatsächlich einmal an das Gute und Wahre im Schönen geglaubt hat, als sei das Gewese um die Kunst etwas, das außerhalb von Zeit und Raum, fernab der Lebensbedingungen im fortgeschrittenen Kapitalismus geschehe. Es ist keine Schönfärberei und keine Weichzeichnerei, wenn man festhält, dass der fülligen Schadensaufstellung ein Überangebot an gut verkäuflichem Misstrauen entspricht.

Ist es tatsächlich so, dass man nur einen Fünfzig-Kilometer-Kreis um die Kunstmessestadt Basel ziehen muss, um nachweisen zu können, wie die Museen und Kunsthallen ringsum den Interessen einer Handvoll Kunst sammelnder und Kunst handelnder Monopolisten zuarbeiten? Als einer ihrer Hauptbelastungszeugen diente der FAZ-Kritikerin das Basler Kunstmuseum, das zusammen mit dem Museum für Gegenwartskunst in einer nobel bestückten Ausstellung die seltsamen Figuren des amerikanischen Bildhauers Charles Ray zeigt.

Die Kunstkritik kapituliert

Eröffnung während der Messe im Juni dieses Jahres. Hauptleihgeber der französische Multimillionär François Pinault. Ist das verwerflich? Oder was genau ist daran so verwerflich? Dass der Sammler gut gesammelt hat? So gut, dass keine Ray-Ausstellung mehr ohne ihn möglich ist? Ist Ray deswegen tabu, weil man aus welchen Gründen auch immer Pinaults Stall und seine Edelpferde scheut?

Dass teure Ausstellungen auf nicht immer durchsichtigen Wegen zustande kommen und dass bei Geschäften und Gegengeschäften immer auch heimliche oder manifeste Erpressungen mit im Spiel sind, kann ja nur den bis zur Untätigkeit deprimieren, der vom Phantom des guten Ausstellungsbetriebs und des bösen Kunstmarkts besetzt ist. Verflochten, wie die Dinge sind, hat es wohl nie einen bedeutenden Kunst-Event gegeben, an dem nicht Kuratoren, Galeristen und Sammler, an dem nicht die öffentlich subventionierten und die privat finanzierten Institutionen und Instanzen mit all ihren Machtansprüchen beteiligt waren.

Dabei gäbe es zum selten gezeigten Werk des amerikanischen Bildhauers Charles Ray ja doch noch manches zu sagen. Und es ist der kunstkritischen Verpflichtung vielleicht doch nicht schon Genüge getan, wenn man die Herkunft der Leihgaben aus einer Hand aufdeckt. Im Grunde ist die kunstkritische Kapitulation vor den seltsam verschlossenen und auf ungemein anregende Weise bedenkenswerten Arbeiten dieses Künstlers so skandalös wie das Powerplay der öffentlich-privaten Aussteller-Union, das man lauthals beklagt.

Von Fälschern und wirklichen Künstlern

Mehr und mehr begnügt sich die stimmgewaltige Rede über Kunst mit Kommentaren zum Spielverlauf, die aus Recherche und Unterstellung gemixt über den Grundverdacht, über das pauschale Unbehagen an den Kunstdingen, wie sie sich zeigen oder auch nicht zeigen, nicht hinauskommen. Drei Seiten Feuilleton-Aufmacher über und mit dem Erzbetrüger Beltracchi in der honorigen „Zeit“. Er könne sich nicht erinnern, erzählt Markus Lüpertz im Gespräch, dass dort ein „wirklicher Künstler“ auch nur halb so viel Platz bekommen hätte. Weshalb er sein Abonnement nach dem Auftritt des Fälschers gekündigt habe.

Natürlich spricht einiges dafür, dass der New Yorker Superhändler Gagosian über die Beziehungsschritte informiert war, die sein Schützling Mark Grotjahn und die junge Freiburger Kunstvereinsdirektorin aufeinander zugetan haben. Auch da gab es gleich die mediale Erregung, als bekannt wurde, dass der kalifornische Maler, für dessen Bilder Millionen bezahlt werden, seine erste Einzelausstellung in Europa ausgerechnet in der Provinz haben würde.

Schwer vorstellbar, dass da nicht der Stratege im Hintergrund am Werk war, der die Ausstellung so platzierte, dass er seine vermögende Art-Basel-Messe-Klientel bequem von der Schweiz über die Grenze ins Badische schicken konnte. Ein lückenloser Indizienbeweis, so schien es, bei dem nur übersehen oder etwas hinterhältig verschwiegen worden ist, dass es der kleine, unwichtige Kunstverein gewesen ist, seine Chefin Caroline Käding, die auf das Werk neugierig geworden war, die den Künstler besucht hat und mit ihm einig geworden ist, und dass es der Maler war, der ohne viel Zögern zugesagt hat.

Niemand muss sich schämen, wenn er Kunst mag

Warum also nicht die Premium-Gelegenheit nützen, sich mit dieser eigentümlich eigenständigen Malerei zu beschäftigen? Wohl weil es schwieriger, jedenfalls mühsamer ist, über Bilder nachzudenken, von denen sich schnell mal sagen lässt, dass sie unter der Supervision des Galerien-Imperators auf dem Auktionsmarkt Rekorde einspielen.

Die Rede über Kunst ist nicht überflüssig geworden, weil es angeblich keine saubere Kunstdarbietung mehr gibt und man bei jedem Auftritt eine händlerische oder sammlerische Wertsteigerungsmachenschaft wittern kann. Aber sie hat endgültig verloren, wenn sie verstummt, wenn sie nur noch ihren Hautgout bekennt.

Will sagen: Sie ist noch nicht ganz aus dem Dienst entlassen, die trotzige Ignoranz, die einigermaßen gelassen zuschauen kann, wie die Hypes zerplatzen, wie die Stars in den Himmel gelobt und fallen gelassen werden, wie hochfliegende „Kunstanstifter“ im Knast landen, und die sich bei allem doch nicht für ihre Sucht nach Kunst und Künstlern schämt.