Konzentriert, choreografisch streng, großartig gespielt: der St. Petersburger „Macbeth“ von Luk Perceval bei den Lessingtagen

Hamburg. Nur eine einzige Minute sei noch Zeit, um die letzte Frage zu beantworten, entschuldigt sich Thalia-Oberspielleiter Luk Perceval vorsorglich, als sich ein junger Mann zu Wort meldet. Eine Minute, bevor Percevals Inszenierung „Macbeth“ vom Baltic House Theatre in St. Petersburg die diesjährigen Lessingtage am Thalia beschließen würde, weshalb man also rechtzeitig das Publikumsgespräch im Mittelrangfoyer beenden müsse. Und der Zuschauer nickt und stellt seine Frage: „Worin genau sehen Sie die Aufgabe des zeitgenössischen Theaters?“

Großes Gelächter. Und eine schlagfertige Antwort von Luk Perceval, der damit noch vor Vorstellungsbeginn beweist, dass man auch komplexe Fragen auf ihren Kern reduzieren kann: „Ich beantworte diese Frage mit: Ja!“

Was tatsächlich eine der Aufgaben des zeitgenössischen Theaters sein kann, zeigte die anschließende Inszenierung. Der „Macbeth“ des Thalia-Hausregisseurs hätte kaum besser auf den diesjährigen Festival-Schwerpunkt „Aufruhr“ passen können: in der Thematik des Stücks sowieso, aber auch und vielleicht vor allem durch die Umstände der Entstehung als St. Petersburger Produktion mit russischen und ukrainischen Schauspielern, die im vergangenen Frühjahr entstand, während sich die Ukraine-Krise immer weiter zuspitzte. Nicht zuletzt zeigt das Projekt, die in Hamburg gastierende russische Shakespeare-Bearbeitung eines belgischen Regisseurs, gelebte Völkerverständigung über diverse (nicht nur sprachliche) Grenzen hinweg. Das Theater sei „eine Kirche der Hoffnung“, glaubt Perceval. Und um nicht weniger als „Um alles in der Welt“ geht es den Lessingtagen schließlich. Das klingt immer ein bisschen anmaßend und natürlich schwer pathetisch – hier jedoch wird dieser Anspruch plötzlich sehr greifbar. Noch dazu, da dieser „Macbeth“ – es geht um Geltungssucht, Herrschaftsanspruch und die skrupellose Habgier eines kalkulierenden Machtpolitikers und seiner ambitionierten Lady – just an jenem Tag Gastspielpremiere feiert, als Merkel und Hollande bei Putin um einen Frieden in der Ukraine ringen.

In der Inszenierung selbst, die Perceval im vergangenen Jahr auf Einladung eines St. Petersburger Theaterfestivals gestaltete, fehlen allerdings direkte Hinweise auf die konkrete politische Situation in und um Russland. Vielleicht hätte der Regisseur das zu plump gefunden, uninteressant wäre es in dieser Konstellation sicher nicht gewesen. Aber vermutlich genügt es, das Urthema des Stücks – Macht korrumpiert, Macht verlangt nach mehr Macht, und der Mensch ist angstgesteuert – so auf die Bühne zu bringen, wie Perceval es hier getan hat: konzentriert, fast choreografisch streng, mit großartigen Schauspielern. Dass der Abend in russischer Sprache über die Bühne geht, ist im Übrigen kein Hindernis, sondern eine emotionale Erweiterung. Die Sprache wirkt geradezu betörend erdig, kehlig, tief, dass man am Ende die Behauptung wagen kann: Auch ohne deutsche Übertitel hätte man (natürlich auch des vertrauten Stückes wegen) gebannt zugeschaut und jedes Wort verstanden.

Das ist letztlich die Aufgabe jeden Theaters: den Menschen zu berühren.