Der vielleicht bekannteste deutsche Schauspieler seiner Generation sitzt erstmals in der Jury des Filmfestivals

Vor zwölf Jahren war Daniel Brühl der Shootingstar der Berlinale und war mit „Good Bye, Lenin!“ im Wettbewerb vertreten. Das hat seine Karriere international beflügelt. In diesem Jahr sitzt der Berliner Schauspieler in der Internationalen Jury um Darren Aronofsky, die am Ende über die Goldenen und Silbernen Bären entscheidet. Wie bereitet man sich auf elf Tage Festival vor, wie hält man drei Filme am Tag durch? Wir haben Brühl vorab in seiner Kreuzberger Tapas-Bar Raval getroffen.

Hamburger Abendblatt: Herr Brühl, wie kommen Sie in die Berlinale-Jury?
Daniel Brühl: Dieter Kosslick hat mich schon letztes Jahr gefragt, ob ich Lust habe. Da fühlte ich mich sehr geehrt, aber zu der Zeit gab es viele Promotiontermine für „Rush“, das ging terminlich nicht, ich musste leider absagen.

… und dann hat er als Plan B Christoph Waltz genommen.
Brühl: (lacht) Das will ich gerne glauben! Ich hatte danach Angst, dass Dieter mich nicht noch mal einladen würde. Hat er aber, da bin ich ihm sehr dankbar. Ich bin gern dabei und freue mich riesig auf die nächsten zwei Wochen Kino.

Kennen Sie schon jemanden aus der Jury? Darren Aronofsky, Audrey Tautou?
Brühl: Audrey hat mir Ron Howard, der „Rush“-Regisseur, vorgestellt. Wir waren essen in Paris, das ist noch gar nicht so lange her. Sie war extrem charmant.

Sie haben schon ein bisschen Jury-Erfahrung, Sie saßen in einer Kurzfilmjury in Cannes.
Brühl: Richtig. Etwas Großartigeres gibt es nicht. Du bist in Cannes und guckst Kurzfilme. Da bist du mittags fertig und kannst danach Bouillabaisse löffeln. Ich war damals mit Tim Burton in der Jury. Die arme Helena Bonham-Carter, seine Frau, war in der Wettbewerbsjury, die war nie zu sehen, die fiel abends todmüde ins Bett. Tim Burton hat sich dann immer weggestohlen und kam mit Drinks bei mir vorbei. Für mich jungen Spund war es natürlich unfassbar, mit Burton auf dem Hotelzimmer zu quatschen, trinken und Musik zu hören!

Jetzt wird es Ihnen wie Helena Bonham-Carter gehen. Drei Filme am Tag: Gibt es da irgendwelche Überlebensstrategien, wie man das durchhält?
Brühl: Wenn’s nur die Filme wären. Es gibt ja auch jede Menge Empfänge und sonstige Pflichttermine, wo man als Juror hin muss. Da gibt es nur eins: Wenig Alkohol trinken. Mal n’ Gläschen, mehr nicht, da muss man sich disziplinieren, sonst hält man das nicht durch. Du kannst da nicht verkatert rumhängen, das geht ja schon früh um neun im Kino los. Und da habe ich großen Bock drauf. Wenn du einen eigenen Film auf dem Festival hast, dann siehst du meist wenig anderes, die wertvolle Akkreditierung ist dann für nix. Mal einen ganzen Wettbewerb zu schauen und sich darüber auch noch auseinanderzusetzen mit interessanten Leuten, das wird eine großartige Erfahrung.

Sie wollten, das haben Sie einmal bekundet, unbedingt mit Sebastian Schipper drehen. Das haben Sie dann mit „Ein Freund von mir“ auch getan. Jetzt ist Schipper mit „Victoria“ im Wettbewerb. Ist man in solchen Fällen befangen?
Brühl: Nee. So nahe stehen wir uns jetzt nicht. Ich kann so was auch ausblenden. Und mit den Jahren haben wir alle gelernt, ehrlich miteinander umzugehen.

Sie stellen auch Ihren neuen Film vor, „Woman of in Gold“ mit Helen Mirren. Wie schafft man das auch noch?
Brühl: Ach, das ist nur ein Abend. Das muss schon okay sein. Aber zu viel nebenher geht wirklich nicht. Man muss das ernst nehmen und konzentriert sein. Man trägt ja Verantwortung, schließlich verleiht man mit den Bären einen der renommiertesten Preise unserer Branche.

Sie haben 2003 „Good Bye, Lenin!“ auf der Berlinale gezeigt, wurden damals als Shootingstar ausgezeichnet. Hat das Ihre internationale Karriere beflügelt?
Brühl: Absolut, ja. Das war ein Traumstart als junger Hüpfer, der ich damals war. Da ist so viel passiert. Der Shooting-Star-Preis ist eine wunderbare Sache, der öffnet jungen Schauspielern den Blick und bringt dich mit Kollegen aus ganz Europa zusammen. Mich hat da auch ein spanischer Produzent gesehen, der mich zwei Jahre später für meinen ersten spanischen Film besetzt hat, davon habe ich ganz direkt profitiert. Und „Good Bye, Lenin!“ trat von Berlin aus seinen Siegeszug durch Europa an, darauf werde ich auch heute noch angesprochen.

Wir sitzen hier in Ihrer Bar. Die wurde vor vier Jahren eröffnet, mitten in der Berlinale. Ist das für Sie im Kopf mit dem Festival verbunden?
Brühl: Total, ja. Als mein Geschäftspartner Atilano damals die Idee hatte, die Bar mittendrin zu eröffnen, hab ich noch geschimpft mit ihm: Da ist so viel los, kein Mensch kommt hierher. Und wirklich saßen wir hier anfangs ganz alleine, da saß nur meine Familie, meine Freunde, ne Tortilla ging rum, das sah sehr traurig aus. Aber ab zehn Uhr wurde das voller und voller. Clive Owen saß schön betrunken genau da, wo Sie jetzt sitzen, mit Tom Tykwer im Schlepptau. Das war ein Traumstart für die Bar.

Da werden Sie am vierten Geburtstag gleich die Jury hierher einladen?
Brühl: Genau, damit wir am nächsten Tag alle denselben Alkoholpegel haben! Nein, nein. Ich werde natürlich anstoßen, aber auch früh wieder abrauschen.

Sie sind der deutsche Part der Jury. Dabei drehen Sie derzeit einen Film nach dem anderen im Ausland. Muss man Angst haben, dass Sie dem deutschen Kino verloren gehen?
Brühl: Auf keinen Fall. Aber es ist schon so, dass mir plötzlich ganz andere Drehbücher, ganz andere Rollen angeboten wurden, Angebote, wie ich sie hier in Deutschland früher nicht so bekam. Das habe ich natürlich dankbar angenommen. Aber ich hoffe immer noch, dass auch wieder mal ein tolles Projekt aus Deutschland kommt.

„Rush“ hat Ihrer Karriere noch mal Drive gegeben. Demnächst werden Sie neben Robert Downey jr. und Scarlett Johansson im Marvel-Comic „Captain America 3“ mitspielen. War Hollywood immer so ein Fernziel bei Ihnen?
Brühl: Nicht so wirklich. Das war immer viel zu weit weg von mir. Und auch zu blöd als Traum. Ich habe lange vom europäischen Kino geträumt. Und war sehr dankbar, als das dann irgendwann geklappt hat. Ich würde gern viel öfter in Frankreich arbeiten, weiter weg würde mich Lateinamerika interessieren. Das kitzelte mich damals mehr als das große Wort Hollywood. Und plötzlich waren einige von uns bei „Inglourious Basterds“ dabei, das war irre. Und seit „Rush“ passiert da jetzt mehr in dieser Richtung. Das genieße ich schon sehr.