Zum ersten Mal seit 1931 ist Puccinis „La fanciulla del West“ von Sonntag an wieder an der Staatsoper zu sehen

Hamburg . Eine Walküre bei Puccini? Mit wehendem Haar reitet die junge Frau herbei, Blechfanfaren und Streicherblitze kündigen ihren Auftritt an. Soeben will eine aufgebrachte Männerschar Minnies Liebsten aufknüpfen. Mit deren Auftauchen haben sie nicht gerechnet, aber Minnie lässt sich nicht einschüchtern. Sie bietet an Herzenswärme und Überredungskunst auf, was sie hat, um den Mann frei zu bekommen. Fast sakralen Charakter hat ihre Bitte; Liegetöne und weit schwingende Phrasen betten ihre Ansprache an die Männer, die wiederum antworten ihr unisono und piano.

Bildhafter, suggestiver geht es kaum. Für einen Mann mit einem untrüglichen Theatersinn wie Puccini ist dieser ungewöhnliche Showdown ein Leckerbissen. Wie der Komponist in wenigen Takten von Drama auf Oratorium umschaltet, schon darin zeigt sich seine ganze Meisterschaft.

Dennoch ist seine Oper „La fanciulla del West“, anders als seine Allzeitschlager „Tosca“ oder „Madama Butterfly“, jahrzehntelang auf kaum einem Spielplan aufgetaucht, in Hamburg zuletzt 1931. An diesem Sonntag feiert sie Premiere an der Staatsoper. Für die Neuproduktion setzt Intendantin Simone Young auf das Dreierteam Vincent Boussard (Regie), Vincent Lemaire (Bühnenbild) und Christian Lacroix (Kostüme), das vor gut zwei Jahren Puccinis „Madama Butterfly“ auf die Bühne an der Dammtorstraße brachte. Die musikalische Leitung übernimmt Carlo Montanaro, der vor drei Jahren auch bei der Neuinszenierung von Puccinis früher Oper „Manon Lescaut“ die Premiere dirigiert hat. Die Titelrolle übernimmt die amerikanische Sopranistin Emily Magee.

Auf ein leibhaftiges Pferd muss Magee-Minnie freilich verzichten, wenn sie sich ins Getümmel wirft, um ihren Johnson zu retten. „Ich glaube nicht, dass die Oper im Kern von Pferden handelt“, sagt der Regisseur Vincent Boussard und lacht. Obwohl – es läge schon nahe. Puccini schrieb die „fanciulla“, wie Opernleute das Stück bündig nennen, 1910 im Auftrag der New Yorker Metropolitan Opera. Das Libretto von Guelfo Civinini und Carlo Zangarini beruht auf einem Theaterstück des Amerikaners David Belasco, und der hat seine Geschichte im finstersten Kalifornien Mitte des 19. Jahrhunderts angesiedelt.

In einem Goldgräberlager führt der Sheriff Jack Rance ein recht selbstherrliches Regiment, außerdem hat er ein Auge auf eben jene Minnie geworfen, die junge Wirtin der Bar „Zur Polka“. Und dann sind da noch Minnies übrige Gäste, all die einsamen, verzweifelten Gestalten, die in der Goldmine Knochenarbeit leisten.

Und das soll kein Western sein? „Die Frage ist doch: Mit welchen Mitteln wollen wir die Geschichte erzählen? Und welche Geschichte überhaupt?“ Vincent Lemaire und Christian Lacroix haben das Lokalkolorit bei ihren Entwürfen für Bühne und Kostüme berücksichtigt. Doch für Boussard steht es nicht im Vordergrund. Ihn interessiert etwas anderes: „Da treffen Entwurzelte, Schicksallose aus der ganzen Welt aufeinander, die lernen müssen, in einer feindlichen Umwelt miteinander auszukommen und eine Gemeinschaft zu bauen. Diese archaische Situation findet man überall.“

In der Person Minnies kreuzen sich all die Sehnsüchte, Hoffnungen und Projektionen der Goldgräber. Das unschuldige Mädchen ist für sie Muttergottes, Lehrerin und Schwester, das einzige Stück seelischer Heimat. Minnie wendet sich ihnen zu und liest ihnen sogar aus der Bibel vor. Das geht natürlich gerade so lange gut, wie sie keinen von ihnen erhört. Sie ahnt nicht, dass der Fremde, dem sie schließlich ihr Herz schenkt, ein gesuchter Räuber ist. Die Wahrheit muss sie ausgerechnet vom eifersüchtigen Sheriff erfahren.

Empört stellt sie Johnson zur Rede. Doch führt Boussard Minnies Reaktion nicht primär auf moralisches Empfinden zurück. „Dass sie von seiner wahren Identität erfuhr, hat ihren naiven Traum zerstört. Minnie hat inmitten dieser Männerwelt ein Leben ohne Sexualität geführt. Sie hat sich bewahrt, um sich eines Tages dem einen Richtigen ganz zu schenken. Und nun ist dieser Eine entzaubert.“

Johnson kann Minnie zwar glaubhaft erklären, dass er wider Willen zum Verbrecher wurde. Aber ihr Mädchentraum ist unwiderruflich erschüttert. Der rechte Segen liegt nicht auf der Verbindung, es gibt in dieser Oper so wenig Weiß und Schwarz wie im echten Leben. In diesem Nest mitten im Wald, fern der Zivilisation und den Naturgewalten hilflos ausgeliefert, rettet jeder so gut es geht die eigene Haut, selbst die gutherzige Minnie trickst den Sheriff beim Poker aus.

In dieser Atmosphäre ist es mit der Romantik so eine Sache. Zwar reiten Minnie und der gerettete Johnson am Schluss zusammen fort, aber das ist ein mehr als doppelbödiges Happy End. „Die beiden sind doch ziemlich gerupft, jeder aus anderen Gründen“, sagt Boussard. „Wir wissen nicht, was aus ihnen wird.“ Puccini aber entschädigt für diese nüchterne Perspektive mit den schönsten italienischen Kantilenen. Und Harfe und Geigen lassen den Sternenhimmel glitzern.

„La fanciulla del West“ Premiere am 1.2., 18.00, Staatsoper. Kartentelefon 35 68 68