Elf Jahre lang moderierte Jörg Wontorra die Talkshow „Doppelpass“, nun freut sich der Lübecker auf normale Wochenenden und Stadionbesuche

Hamburg. Am Sonntag ab 11 Uhr wird sein rauchiges Lachen wieder im Hotel Hilton am Münchener Flughafen erklingen. Jörg Wontorra und die Fußball-Talkshow „Doppelpass“ auf Sport1, sie gehören seit elf Jahren zueinander, Dritter im Bunde ist das Phrasenschwein, in das jeder drei Euro einzahlen muss, der sich in verbale Allgemeinplätze rettet. Doch mit dem Rückrundenstart läutet der 65-Jährige seine letzte Halbserie in der Bundesliga ein. Am 7. Juni ist Schluss.

Hamburger Abendblatt:

Herr Wontorra, jetzt mal ehrlich, Fußball ohne Phrasen, geht das überhaupt?

Jörg Wontorra:

Prinzipiell schon, Sie können das jedoch nie ganz ausschließen. Es wird immer Situationen geben, in denen Spieler, Trainer oder Funktionäre nicht alles sagen können und sich zwangsläufig in Phrasen flüchten.

Und dann?

Wontorra:

Müssen Sie als Journalist schauen, wie Sie diesen Schutzwall aufbrechen. Deshalb ist ja das Phrasenschwein beim „Doppelpass“ auch so ein tolles Instrument. Es hilft.

Was noch?

Wontorra:

Sie müssen sich mit der jeweiligen Persönlichkeit auseinandersetzen. Einen Heribert Bruchhagen von Eintracht Frankfurt können Sie gezielt provozieren, das liebt er fast. Bei anderen Menschen muss man sich vorsichtig herantasten, offene Fragen stellen, ihnen alle Freiheiten lassen. Und dann im entscheidenden Moment zupacken.

Das Phrasenschwein weint, wurde getitelt, weil Sie aufhören. Haben Sie genug vom Fußball?

Wontorra:

Im Gegenteil, Fußball bleibt eine Droge für mich. Künftig werde ich sogar wieder häufiger im Stadion sein. In den vergangenen Jahren war ich an 40 Wochenenden im Jahr am Sonnabend gezwungen, mir im Hotel in München zur Vorbereitung auf meine Sendung das Sportstudio anzuschauen. Ich verspüre eine tiefe Sehnsucht nach einem normalen, deutschen, mittelständischen Bürgerleben mit einem richtigen Wochenende und möchte endlich wieder mit Freunden feiern oder Veranstaltungen besuchen können.

Dennoch, macht Fußballberichterstattung wirklich noch Spaß? Die Vereine schotten sich immer mehr ab, persönlichen Kontakt herzustellen, fällt immer schwerer.

Wontorra:

Sicher, die Fußballberichterstattung hat sich schon sehr geändert. Heute als junger Journalist noch mal anzufangen? Das würde ich nicht wollen, dir werden zu viele Steine in den Weg gelegt. Früher gab es eine konstruktive Zusammenarbeit, heute haben Journalisten und Fußballer ihre Lager auf verschiedenen Ufern eines Flusses aufgeschlagen.

Ihre 25-jährige Tochter Laura konnten Sie dennoch nicht hindern, in Ihre Fußstapfen zu treten, auch sie arbeitet inzwischen bei Sport1 als Fußballmoderatorin.

Wontorra:

Ich habe es ja versucht, weil ich sie vor dem azyklischen Leben schützen wollte. Aber als wir einmal private Videos aufgenommen haben, – Probeaufnahmen gemacht hatten, brach mein Widerstand zusammen. Ich merkte sofort: Sie hat Ausstrahlung, und Fußball ist ihre Leidenschaft.

Was raten Sie Ihrer Tochter? Die Vereine haben ihre Medienabteilungen massiv ausgebaut, produzieren selbst Inhalte, während Journalisten häufig wirtschaftlichem Druck ausgesetzt sind.

Wontorra:

Die Entwicklung hin zum Gefälligkeitsjournalismus ist eine große Gefahr, da muss jeder aufpassen. Ich war immer ein großer Anhänger von Hans-Joachim Friedrichs Appell, sich nicht mit einer Sache gemein zu machen. Die kritische Distanz zu wahren, geht immer mehr verloren, was schade ist, weil so journalistische Authentizität verloren geht.

Journalisten und Fußballer sollten also nicht befreundet sein?

Wontorra:

Selbstverständlich können sich Freundschaften entwickeln, was kein Problem ist, wenn beide Seiten ehrlich miteinander umgehen und wissen, dass kritische Themen hinterfragt werden könnten. Eine Absprache, wie damit umgegangen wird, ist natürlich möglich. Häufig geht es ja um Nuancen, um eine Formulierung.

Ihre Lieblingsinterviewpartner?

Wontorra:

Vor allem Bruchhagen. Auch wenn wir mal hart miteinander umgehen, gefährdet dies nie unsere Freundschaft. An zweiter Stelle muss ich Leverkusens Sportchef Rudi Völler nennen, den ich schon als Spieler vor vielen Jahren in Bremen schätzen gelernt habe.

Wen würden Sie gerne noch interviewen?

Wontorra:

Mein Premiumwunsch wäre Uli Hoeneß. Vielleicht geht ja was.

Würde Sie in Zukunft ein anderes TV-Format reizen?

Wontorra:

Es wurden schon mehrere Optionen an mich herangetragen Ich bin offen für alles – aber nicht für Sendungen am Wochenende.

Pendeln Sie künftig weiter zwischen Marbella und Bremen?

Wontorra:

Nein, ich werde wohl Ende des Jahres nach Bremen umsiedeln. Die Tochter meiner Frau kommt langsam in die Pubertät, ich denke, es ist wichtig, diesen Lebensabschnitt gemeinsam anzugehen. Da habe ich aus meiner eigenen Vergangenheit gelernt.

Da können Sie ja wieder ein Amt bei Werder übernehmen. Sie waren ja schon mal Aufsichtsrat.

Wontorra:

Ach, der Aufsichtsrat ist gut aufgestellt, die sollen mal machen. Ich habe festgestellt, dass ich von Herzen Journalist bin. Das operative Geschäft würde mich zu viel Nerven kosten. Auf der Tribüne zu sitzen und abhängig davon zu sein, ob der Ball an den Pfosten geht oder ins Tor geht? Nee, viel zu stressig.

Ihre Prognose als Lübecker für Bremen und den HSV?

Wontorra:

Werder steht eine schwere Rückrunde bevor, es fehlt an Qualität in der Mannschaft. Es kann dauern, sich von Abstiegssorgen zu befreien. Der HSV wird die Klasse früher halten, obwohl auch die Hamburger kämpfen müssen. Auch traue ich Dietmar Beiersdorfer mittelfristig zu, den Club wieder dorthin zu führen, wo er stand, als er den HSV 2009 verlassen hat.