Hamburg. Ein einzelner Ton kann eine ganze Welt umfassen. Welche Aura umgibt ihn, wie bewegt er die Luft, schon bevor er klingt? Wie setzt er an, schwingt sich ein und entfaltet sich im ganzen Raum, wird lauter oder leiser, dichter oder hauchiger? Führt er auf etwas hin oder von etwas weg oder auch beides? Und: Wie endet er? Erst über das Ende erhält er für den Hörer seinen endgültigen Charakter.

Besondere Liebe und Hinwendung erfährt die Gestaltung des Tons als Teil eines größeren Ganzen bei den Barockspezialisten. Den alten Instrumenten fehlt häufig die dynamische Bandbreite ihrer Nachfolger; schon das lenkt den Blick, oder besser, das Hören, auf andere Parameter wie eben die Binnenqualität der Klänge, aus denen sich eine musikalische Erzählung zusammensetzt. So jüngst zu erleben bei dem feinen, vielgestaltigen Geigenton der Französin Amandine Beyer und ihres Ensembles Gli Incogniti in der Laeiszhalle.

Sechs Concerti grossi und eine Sinfonie von Corelli hatten die Musiker im Gepäck, Musik voll unterschiedlichster Stimmungen. Mal rappelten die Sätze fröhlich motorisch, dann beschworen zarte Dreierbewegungen Hirtenidylle, als hätten sich die Schalmeien zwischen die Streicher geschlichen. Meditativ-Gelassenes wechselte ab mit dissonanten Klängen von fast lustvollem Schmerz.

Das alles spielten die Musiker in einem Gestus großer Natürlichkeit. Stets ließ Beyer den Klang ihrer Geige frei strömen, fand immer eine noch zartere, noch innigere Wendung. Die zweite Solovioline teilten sich drei Kolleginnen, mit unterschiedlichen klanglichen und stilistischen Ergebnissen. Im Tutti war manches vernuschelt und manches schlicht unsauber, aber dem Charme des Abends konnte das nichts anhaben.

Auf die Dauer gemahnte die Gleichförmigkeit des Programms freilich an ein, wenn auch sehr beschwingtes, musikwissenschaftliches Proseminar. Ein Glück, dass die Lehrstunde so hervorragende Musik zum Thema hatte.