Die „Washington Post“ will keine Zeitung mehr sein: Vor anderthalb Jahren erwarb Amazon-Gründer Jeff Bezos das traditionsreiche Blatt – und investiert in den digitalen Aufbau.

Berlin. Als Amazon-Gründer Jeff Bezos im August 2013 für 250 Millionen Dollar die „Washington Post“ übernahm, unkten Spötter, was er damit wohl anfangen wolle. Der Online-Händler und das Flaggschiff der US-Publizistik, das so namhafte Reporter wie Ben Bradlee hervorbrachte und die Watergate-Affäre aufdeckte, das schien nicht zusammenzupassen. „Auf dem Weg ins Nichts“, kommentierte die „taz“ damals eilfertig. Die Querelen um das nur langsam in Gang kommende Medien-Start-up First Look Media des Ebay-Gründers Pierre Omidyar schienen Kritikern Auftrieb zu geben.

Doch inzwischen zeichnet sich bei der „Post“ eine Strategie ab. Zunächst wurde bekannt, dass die App der „Washington Post“ auf alle Amazon-Lesegeräte kommt. Und nun will die „Washington Post“ selbst ein Software-Provider werden. Wie die „Financial Times“ berichtet, steht die Zeitung in Gesprächen, ihre für die Online-Ausgabe entwickelte Software zu lizenzieren und an potenzielle Kunden gegen Entrichtung einer Nutzungsgebühr anzubieten. Einige Regional- und Studentenzeitungen (u.a. in Yale und Columbia) nutzen bereits das Content-Management-System der „Washington Post“. Weitere Abnehmer könnten bald folgen.

Insider überrascht diese Strategie nicht. Der Journalismus-Professor John Pavlik sagt auf Anfrage: „Die traditionellen Medien sollten nicht nur die Rolle von Social Media bei der Verbreitung von News erkennen. Sie sollten auch in Betracht ziehen, wie man effektiv Daten-Algorithmen nutzt, um maßgeschneiderte News an die Leserschaft zu transportieren.“

Entwicklung eines Lizenzgeschäfts geplant

Die Entwicklung eines Lizenzgeschäfts wäre ein weiterer Schritt, das Digitalangebot auszubauen. Die „Washington Post“ ist wie andere US-Titel vom Auflagen- und Anzeigenrückgang betroffen. Lag die Auflage zwischen April und September 2013 noch bei 405.000 Exemplaren, schrumpfte sie zwischen April und September 2014 auf 377.000. Die Zahl der Digital-Abos stagnierte im gleichen Zeitraum. Allein, eine gute Digitalstrategie wird die Umsatzrückgänge im Printbereich nicht aufhalten können. Steve Hills, Präsident der „Washington Post“, betont denn auch die Wichtigkeit von Print: „Kurz- und mittelfristig wird Print das Geld einspielen, bis das Digitalgeschäft sich selbst trägt.“ Langfristig finde der Wettbewerb im mobilen Markt statt.

Wer glaubt, Jeff Bezos erwarb die „Post“ nur als Prestigeobjekt, sieht sich getäuscht. Der Amazon-Gründer betrachtet seine Investition als wirtschaftliche Unternehmung – und pumpte in den vergangenen Jahren beträchtliche Mengen Liquidität in sein Unternehmen. Seit Anfang 2014 hat es bei der „Washington Post“ dank des Gelds von Bezos mehr als 100 Neueinstellungen gegeben. In der gleichen Größenordnung muss die „New York Times“ Stellen in der Redaktion abbauen. Die „Grey Lady“ sieht bei der digitalen Verjüngungskur des Konkurrenten ziemlich alt aus. Die „Post“ stellte zudem 20 Ingenieure ein, die mit der Entwicklung einer neuen App befasst wurden. Bezos Handschrift ist schon jetzt erkennbar.

Der Milliardär scheut bei dem Umbau keine Kosten. Laut dem Bewertungsportal Glassdoor verdient ein Softwareentwickler bei der „Washington Post“ durchschnittlich 78.000 Dollar im Jahr, während ein Reporter auf 52.000 Dollar kommt. Das zeigt auch den Stellenwert der Softwareentwickler im Verlag. „Als Ingenieur ist Amazon ein Mekka für uns“, zitiert die „Financial Times“ den IT-Leiter der „Post“, Shailesh Prakash. „Wir müssen nicht um Journalisten kämpfen.

Bereits jeder dritte Zugriff erfolgt über Smartphones

Ich muss beweisen, dass wir kein Zeitungsunternehmen mehr sind, sondern eine kleines, aber feines innovatives Technikunternehmen, das Dinge aufbaut anstatt sie nur zu managen und zu kaufen.“ Das sind gänzlich neue Töne des Medienimperiums, das auf eine so stolze Reportertradition zurückblickt. Die „Washington Post“ will keine Zeitung mehr sein. Bereits jeder dritte Zugriff erfolgt über Smartphones. Die steigenden Traffic-Zahlen bei mobilen Apps gereichen dem Management als Beleg dafür, dass die Digitalstrategie funktioniert. Gleichwohl: Facebook-Mitbegründer Chris Hughes ist mit seinem Versuch, das linksliberale Magazin „The New Republic“ in ein „digitales Unternehmen“ auszubauen, auf ganzer Linie gescheitert – fast die gesamte Redaktion reichte die Kündigung ein.

Wie kommt die neue Strategie bei der „Post“ an? Für eine Stellungnahme war trotz mehrfacher Nachfrage kein Redakteur zu erreichen. Der Technik-Journalist Rob Pegoraro, der 2011 nach 17 Jahren die „Washington Post“ verließ, sagt: „Ich weiß von meinen alten Kollegen, dass sie stolz darauf sind, die ‚New York Times‘ so oft wie möglich zu schlagen.“

Hoffnungen auf einen Wandel durch Bezos wurden allerdings enttäuscht. „In der Redaktion hat sich wenig geändert“, sagt der Insider, der weiterhin Kontakt zu seinen alten Kollegen hält. „Es gibt nach wie vor eine starke neokonservative Strömung mit zweifelhaftem Blick auf Fakten“, so Pegoraro. Das konservative Leitmedium betrachtet die Außenpolitik Obamas sehr kritisch, u.a. wurde die Aufhebung der Blockade gegen Kuba angegriffen. Das spricht allerdings wiederum für Jeff Bezos, der offensichtlich keinen Einfluss auf die Blattlinie nimmt und mit einem digitalen Ausbau die Struktur der Zeitung stärkt.

2013 erschien auf Deutsch Brad Stones Biografie über Jeff Bezos unter dem Titel: „Der Allesverkäufer: Jeff Bezos und das Imperium von Amazon“. Es trifft die Denkart des Amazon-Gründers ganz gut. Jeff Bezos verkauft alles: von der Zeitung bis zur Software.