Hamburg. Als Jan Lisiecki – ein leibhaftiger Schwiegermüttertraum mit blondem Wuschelkopf und schüchternem Lächeln – auf die Bühne der Laeiszhalle stakste, hätte man glauben können, da sei ein Nachwuchspianist auf dem Weg zum Vorspiel bei „Jugend musiziert“. Aber der Eindruck täuscht – und zwar gewaltig. Sobald der 19-jährige Kanadier am Flügel sitzt, verströmt er eine alterslose Reife.

Mit Busonis Bach-Bearbeitungen ertastete Lisiecki gleich zu Beginn ein wenig bekanntes Repertoire, dem jeder Showeffekt fremd ist, und gab damit die Richtung vor: Dieser introvertierte Grundton und die strikte Konzentration auf das Wesentliche prägten den ganzen Abend.

In der c-Moll-Partita von Bach verzichtete der Pianist über weite Strecken auf den Gebrauch des Pedals, um die Stimmverläufe klar zu modellieren. Trotz dieser Sorgfalt fürs Detail behielt er den großen Bogen im Blick und ließ die Phrasen immer im Fluss.

Mit Mendelssohns Rondo Capriccioso wies Lisiecki dann den Weg in die Romantik, zur Musik von Chopin, seinem Kernrepertoire, dem die zweite Hälfte gewidmet war.

Auch dort blieb er seiner Linie treu und mied die Überredungsmacht der fetten Klänge. Stattdessen wahrte der smarte Tastenkünstler einen schlanken Zugriff. Mit fein nuanciertem Anschlag formte er die 24 Préludes von Chopin zu kleinen Charakterstücken: Im Sechsten gründelte er in majestätischer Melancholie, das ruhelose Achte durchrauschte er wie einen Fiebertraum – und im berühmten Des-Dur-Prélude berührte er mit einem Gesang, der von leiser Wehmut erzählte.

Natürlich kann er auch virtuos loswirbeln und kraftvoll zupacken. Aber das tut er eben nur, wenn es die Musik unbedingt will, wie im Finale der Grand Polonaise, mit der Lisiecki seinen starken Auftritt beschloss. Keine Frage, dieser junge Mann ist auch ein leibhaftiger Hörertraum.