„Wir sind jung. Wir sind stark“ ist ein wirklich großes Drama mit beklemmender Aktualität

Der Film beginnt damit, dass Kinder mit einem Einkaufswagen Leergut einsammeln. Sie wissen in dem Dreck und der Trostlosigkeit, die sie umgeben, etwas Sinnvolles zu tun. Gleich am Anfang also setzt Regisseur Burhan Qurbani so etwas wie ein Hoffnungszeichen, als wolle er sein Publikum gegen die volle Kraft seines Films schützen. Eine in der Tat wuchtige, niederschmetternde Geschichte hat der Sohn afghanischer Eltern auf die Leinwand gebracht. „Wir sind jung. Wir sind stark“ steht in der Tradition des naturalistischen Gesellschaftsdramas. Manchmal hat man den Eindruck, Qurbani und sein Koautor Martin Behnk liefern ihre Figuren dem Mahlwerk sozialer Verhältnisse und psychischer Zwangsläufigkeit aus. Es geht um mehr als um die „Aufarbeitung“ des fremdenfeindlichen Pogroms, das 1992 in Rostock-Lichtenhagen unter den Augen der Fernsehöffentlichkeit ausbrach. Unterstrichen wird diese Distanz zum bloß Dokumentarischen durch strenge Schwarzweiß-Optik.

Seit beinahe zwei Jahren war Deutschland wieder vereinigt. Im Osten brachen die wirtschaftlichen Strukturen zusammen. Arbeitslosigkeit grassierte. Der Stress der sozialen und politischen Umwälzung überforderte viele. Gleichzeitig setzte die Krise auf dem Balkan Flüchtlingsströme in Bewegung. Die „Asylanten“ wurden nicht nur in den neuen Bundesländern von vielen als Bedrohung empfunden. Die Stimmung im Land war angespannt, an manchen Orten explosiv.

Will man aber verstehen, wie es an einem bestimmten Ort und zu einem bestimmten Zeitpunkt dazu kommt, dass alle moralischen und zivilisatorischen Sicherungen durchbrennen, dann betrachtet man die Innenwelt der handelnden oder gerade nicht handelnden Personen. Dort findet man die Verhaltensgrundmuster, die in unterschiedlichen politischen oder kulturellen Erscheinungsformen auftreten. So sehr Qurbanis Film von einem politischen Ethos getragen und dem Kampf gegen den Rechtsextremismus gewidmet ist, so wenig gibt er sich mit einfachen sozioökonomischen Erklärungen und politischen Ansagen zufrieden.

Der Film erzählt, wie eine Gruppe arbeitsloser Jugendlicher aus der Plattenbausiedlung Rostock-Lichtenhagen den 24. August 1992 und die Nacht auf den 25. verbringt. In Stefan (Jonas Nay) verdichtet sich die Tragödie dieser „verlorenen Generation“. Er stammt aus halbwegs behüteten Verhältnissen, sein Vater (Devid Striesow) will als Kommunalpolitiker Karriere machen, versagt aber angesichts des sich anbahnenden Gewaltausbruchs. Stefan lässt sich treiben in die Spirale eskalierender Gewalt. Auch die frisch keimende Liebe zu Jennie (Saskia Rosendahl) kann daran nichts ändern. Die anderen Mitglieder der Clique, der Psychopath Robbie (Joel Basman), Goldhahn (Paul Gäbler), das prädestinierte asthmatische Opfer und Sandro (David Schütter), der einzige völkisch schwadronierende Neonazi der Gruppe, sind von Anfang an hoffnungslos verloren.

Die Vietnamesin Lien (Trang Le Hong), die im sogenannten Sonnenblumenhaus wohnt, hat ein Lebensziel. Sie will in Deutschland bleiben, anders als ihr Bruder. Das führt zu heftigen Konflikten und auch völlig unterschiedlichen Bewertungen dessen, was sich draußen abspielt, wo sich die Schaulustigen mehr und mehr in einen Mob verwandeln, der „die Ausländer“ brennen sehen will. Der dauernde Wechsel der Perspektive von den Jugendlichen zu den Vietnamesen und zurück gibt der Erzählung ihre Spannung. Durchweg glänzende Schauspieler machen „Wir sind jung. Wir sind stark“ zu einem wirklich großen Film, der vor dem Hintergrund sich neuerlich verschärfender Konflikte um Zuwanderung und kulturelle Toleranz genau zur richtigen Zeit kommt.

+++++ „Wir sind jung. Wir sind stark.“ D 2014, 120 Min., ab 12 J., R: Burhan Qurbani, D: Jonas Nay, Devid Striesow, Trang Le Hong, täglich im Abaton