Das irische Mädcheninternat St. Kilda ist ein Ort des Behütetseins. Elitär, ein wenig versnobt, viele Forschungsprojekte, das Renommee so hoch wie das Schulgeld. Eine Jungmädchenidylle, eingebettet in eine prächtig blühende Parklandschaft. Wäre dort nicht auf dem golfplatzgrünen Rasen vor einem Jahr ein junger Mann erschlagen worden: Chris Harper, 16 Jahre alt, beheimatet im nachbarlichen Jungsinternat.

Die Ermittlungen verliefen damals im Sand, kein offenkundiges Motiv, keine der Tat verdächtigen Mädchen oder Jungen. Schon die Vernehmungen gestalteten sich äußerst zäh. „Sechzehnjährige Jungs, da kannst du auch die Schimpansen im Zoo vernehmen. Einer war dabei, der vollständige Sätze bilden konnte“, sagt Detective Antoinette Conway in Tana Frenchs aktuellem Kriminalroman „Geheimer Ort“. Ein undankbarer Job, als liefe man gegen Wände, irgendwann sind die Ermittler müde, es gibt noch andere Fälle, die ihrer Lösung harren. Ein Jahr nach dem Ereignis, das das Leben im Internat erschüttert hat, taucht die junge Holly, eine Bewohnerin des Internats, auf dem Polizeirevier auf. „Ich weiß, wer ihn getötet hat“ steht auf dem Blatt Papier, das Holly am Schwarzen Brett entdeckt hat, unter den aufgeklebten Buchstaben ein Foto von Chris. Der scheinbar tote Fall wird wieder lebendig.

Tana French erzählt ihre Geschichte in zwei gegenläufigen Handlungssträngen. Vom Heute aus versuchen die Detectives Conway und Stephen Moran, den damaligen Tathergang zu rekonstruieren, indem sie die Mädchen erneut vernehmen; die parallele Handlung erzählt vom Leben jener Mädchen in den Monaten vor dem Mord bis zu dem Zeitpunkt, als Chris sterben muss. Langsam nähern sich beide Erzählungen, bis sie in der Lösung des Rätsels zusammentreffen.

Die in Dublin lebende Autorin, die bereits in ihren Romanen „Schattenstill“ und „Grabesgrün“ zu überzeugen wusste, erweist sich auch in „Geheimer Ort“ als brillante Stilistin, bildreich ist ihre Sprache, ungemein pointiert sind die Dialoge der Mädchen untereinander, stimmig die atmosphärischen Bilder, in die Tana French ihre Story um desillusionierte Teenagerträume taucht. Am sonnendurchfluteten blassblauen Mädchenhimmel ziehen dunkle Wolken auf, die Zeit des Erwachsenwerdens kündigt sich am Horizont an. Mehr Bedrohung ist sie als Verheißung.

„Geheimer Ort“ zieht die Spannung aus dem zerfasernden Seelenleben der Mädchen, psychologisch fein gewebt, von hoher Intensität.

Tana French: „Geheimer Ort“. Dt. von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, Scherz Verlag, 704 Seiten, 14,99 Euro